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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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Eingang des verfallenen Gebäudes und winkte mir zu. Ich ging hinüber. Er war mittlerweile wieder in dem Haus verschwunden. Ich fand ihn in einem der hinteren Zimmer. Sonnenlicht flutete durch einen Spalt, zwischen der teilweise herabgestürzten Decke und der Rückwand. Der Strahl schien den Raum in zwei Hälften zu teilen und ließ Staub in der Luft tanzen, den Ryan bei seinem Eintreten aufgewirbelt hatte.
    Ich machte ihn im Halbdunkel aus.
    „Sieh mal“, sagte er triumphierend.
    Er stand vor einer großen Standuhr, die ihn selbst um gut einen Kopf überragte.
    „Funktioniert sie noch?“, fragte ich skeptisch.
    „Sie sieht gut erhalten aus.“
    „Was heißt das schon?“, meinte ich lapidar.
    Er öffnete die Fronttür. Selbst das Glas war unbeschädigt. Die Uhr schien tatsächlich in gutem Zustand zu sein. Probehalber setzte er das Pendel in Bewegung. Kurz darauf erfüllte leises Ticken den Raum.
    Ryan strahlte mich an.
    „Sie wird uns eine Menge Geld einbringen. Viel mehr als die Töpfe von letzter Woche.“
    Ich stimmte ihm zu. Uhren wie diese waren ungeheuer selten. Nur wenige hatten die lange Zeit seit dem Neubeginn schadlos überstanden. Sicher, immer wieder fanden wir Zeitmesser aus der Dunklen Zeit. Doch waren diese meist aus Plast und funktionierten nicht mehr. Jamerson hatte mir erzählt, sie wurden einst von einer Kraftquelle angetrieben, die nun nicht mehr existierte. Ich hatte überlegt, ob das wohl etwas mit dieser elektrischen Zität zu tun haben könnte, von der Malcolm mir erzählt hatte.
    Diese Uhr hier, so nahm ich an, stammte wohl aus einer noch älteren Zeit. Offenbar hatte man damals weitaus mehr Wert auf Handwerkskunst gelegt. Die Uhren, die man heute fertigte, konnten sich mit dieser hier zwar durchaus messen – soweit ich dies beurteilen konnte jedenfalls –, doch waren sie unglaublich teuer. Nur wohlhabende Gutsbesitzer konnten sich solch ein Stück leisten. Meine Eltern hatten eine besessen. Doch auch diese war ein Opfer der Flammen geworden. Mein Vater hatte sie damals über einen der Fahrenden Händler bestellt. Monatelang hatte er darauf warten müssen. Ja, diese Uhr hier würde Jamersons Schar eine lange Zeit ernähren können.
    „Ein wunderschönes Stück“, klang es anerkennend vom Zugang des Raumes her.
    Tobins Umrisse schälten sich aus dem Halbdunkel.
    Ich hatte es geahnt, dass er nicht weit sein würde. Manchmal schien es mir, als würde er mich keinen Moment aus den Augen lassen.
    Gut sechs Wochen waren seit jener Nacht in dem Turm vergangen. Es war genauso gekommen, wie ich es befürchtet hatte. Wie selbstverständlich hatte mich Jamerson als eines seiner Kinder angenommen. Was ich davon hielt spielte keine Rolle. Hatte ich anfangs noch vorgehabt, mich so schnell wie möglich abzusetzen, so hatte ich bald schon einsehen müssen, dass dies wohl kaum möglich sein würde, solange wir durch diesen karstigen, verlassenen Landstrich zogen. Hier gab es keinerlei Möglichkeiten, mich unbemerkt davon zu schleichen. Und falls es mir doch gelingen sollte, so hätten sie mich sicher bald wiedergefunden. Meine Chancen, noch einmal Gelegenheit zur Flucht zu finden, würden anschließend wohl verschwindend gering sein.
    So also hatte ich letztlich beschlossen, erst einmal dieses seltsame Spiel mitzuspielen. Ich hatte getan was ich konnte, ihr Vertrauen zu erringen. Ich erfüllte gewissenhaft die Aufgaben die man mir zudachte und hatte es sogar geschafft, mich mit den meisten von Jamersons Kindern gut zu stellen. Nur Allen lehnte mich nach wie vor ab – und das ließ er mich auch oft genug spüren. Seine häufigen Versuche aber, mich zu drangsalieren, wurde meist von Tobin unterbunden. Tobin wollte keinen Streit in der Gemeinschaft aufkommen lassen. Außerdem glaube ich, dass er mich irgendwie mochte. So hatte er zum Beispiel dafür gesorgt, dass ich wenigstens einen Teil meiner Sachen zurückerhalten hatte. Dennoch schien er mir nach wie vor nicht völlig zu vertrauen. So wurde ich zum Beispiel niemals zur Nachtwache eingeteilt.
    Dass Tobin mich in jener Nacht vor dem Turm abgepasst hatte, war kein Zufall gewesen, wie ich später erfahren hatte. Er war allerdings auch nicht dort draußen gestanden, um eine eventuelle Flucht meinerseits zu vereiteln – obwohl dies auch eine Rolle gespielt haben mochte. Es war viel mehr so, dass Jamerson stets mit dem Auftauchen der Anderen rechnete. So standen jede Nacht zwei der älteren Kinder abwechselnd wache.  Mich eingerechnet waren wir

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