Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
unbezahlten Urlaub geben und sagte dem Vorarbeiter, dass seine Frau krank sei, es ihr aber bald besser gehen würde. Arvin und er verbrachten Stunden damit, jeden Tag am Baumstamm zu beten. Jedes Mal, wenn sie die Weide zum Wald hin überquerten, erklärte Willard, dass ihre Stimmen bis in den Himmel hinauf klingen sollten und dass ihre Bitten vollkommen ehrlich sein müssten. Charlotte wurde immer schwächer, die Gebete immer lauter, bis sie den Hügel hinunter über die Senke schallten. Die Einwohner von Knockemstiff wachten jeden Morgen zum Klang ihres Flehens auf und gingen jeden Abend mit ihm zu Bett. Wenn es Charlotte besonders schlecht ging, beschuldigte Willard den Jungen, nicht fest genug zu wollen, dass es ihr besser ging. Dann schlug und trat er ihn, hatte deshalb aber später ein schlechtes Gewissen. Manchmal hatte Arvin den Eindruck, sein Vater würde sich jeden Tag bei ihm entschuldigen. Nach einer Weile kümmerte er sich nicht mehr darum und nahm die Schläge und bösen Worte und darauffolgenden Entschuldigungen als Teil des Lebens hin, das sie nun führten. Bei Nacht beteten sie weiter, bis ihnen die Stimmen versagten, dann stolperten sie heimwärts, tranken von dem warmen Wasser aus dem Brunneneimer, der auf dem Küchentresen stand, und fielen erschöpft ins Bett. Am Morgen ging alles wieder von vorn los. Doch Charlotte magerte immer weiter ab, kam dem Tod immer näher. Wann immer sie aus dem Morphinschlummer erwachte, flehte sie Willard an, mit diesem Blödsinn aufzuhören und sie in Frieden gehen zu lassen. Doch Willard wollte nicht aufgeben. Und wenn er alles geben musste, was er in sich hatte, dann sollte es wohl so sein. Jeden Augenblick rechnete er damit, dass der Geist Gottes vom Himmel kam und sie heilte; als die zweite Juliwoche zu Ende ging, fand er ein wenig Trost in der Tatsache, dass sie bereits länger ausgehalten hatte, als die Ärzte prophezeit hatten.
Es war die erste Woche im August, und Charlotte war die meiste Zeit nicht bei Bewusstsein. Während Willard eines glühend heißen Nachmittags versuchte, sie mit feuchten Tüchern zu kühlen, kam ihm der Gedanke, dass von ihm vielleicht mehr als nur Gebete und Ehrlichkeit verlangt wurden. Am nächsten Tag kam er mit einem Lamm auf der Ladefläche vom Schlachthof zurück. Es hatte ein schlimmes Bein und hatte nur fünf Dollar gekostet. Arvin sprang von der Veranda und rannte auf den Hof. »Darf ich ihm einen Namen geben?« fragte er, als sein Vater den Pick-up vor der Scheune zum Stehen brachte.
»Herrgott, das ist doch kein verdammtes Haustier«, brüllte Willard. »Geh ins Haus zu deiner Mutter.« Er fuhr den Pick-up rückwärts in die Scheune, stieg aus und band dem Tier schnell die Hinterbeine mit einem Seil zusammen; dann zog er es mit einer Umlenkrolle, die an einem der Holzbalken hing, in die Höhe. Er setzte den Pick-up ein paar Meter vor und ließ das verschreckte Tier so weit herunter, dass die Schnauze einen Meter über dem Boden hing. Mit einem Schlachtermesser schlitzte er ihm die Kehle auf und fing das Blut in einem großen Futtereimer. Er setzte sich auf einen Strohballen und wartete, bis nichts mehr aus der Wunde tropfte. Dann trug er den Eimer zum Baumstamm und goss das Opferblut sorgsam darüber aus. Nachdem Arvin an jenem Abend zu Bett gegangen war, schleifte Willard den wolligen Kadaver an den Rand der Weide und warf ihn in eine Schlucht.
Ein paar Tage später fing Willard an, die überfahrenen Tiere vom Straßenrand einzusammeln: Hunde, Katzen, Waschbären, Opossums, Murmeltiere, Rotwild. Die Kadaver, die zu steif und zu alt waren, um noch auszubluten, hängte er an den Kreuzen und Astgabeln rings um den Baumstamm auf. Hitze und Feuchtigkeit ließen sie schnell verrotten. Bei dem Gestank mussten Arvin und er würgen, wenn sie sich hinknieten und um die Gnade Gottes flehten. Maden fielen von den Bäumen und Kreuzen wie lebende Tropfen weißen Talgs. Der Boden rings um den Baumstamm war schlammig vor Blut. Die Insekten vermehrten sich täglich. Arvin und sein Vater waren von Fliegen-, Moskito- und Flohstichen übersät. Trotz des heißen Wetters zog Arvin ein langärmliges Flanellhemd und Arbeitshandschuhe an und band sich ein Taschentuch vors Gesicht. Keiner von beiden badete noch. Sie lebten von Frühstücksfleisch und Crackern, die sie in Maudes Laden kauften. Willards Gesichtsausdruck war hart und wild, und es kam seinem Sohn so vor, als sei sein verfilzter Bart fast über Nacht grau geworden.
»So ist der
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