Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
habe die Kreditkarte zerschnitten, die mir Dad gegeben hat. Mit der man auch am Automaten Geld ziehen kann. Ich habe vorher nicht in mein Portemonnaie geschaut, denn da sind nur noch hundert Pfund drin. Ich hätte erst mal Geld abheben sollen, bevor ich die Karte zerschneide. Das war so dämlich. Was mache ich denn jetzt??? Ich kann ja wohl kaum Dad anrufen und sagen: »Von jetzt an werde ich auf eigenen Beinen stehen, aber gibst du mir vorher noch mal ein paar Hundert Pfund?«
Ich habe eben unten angerufen, und die Rezeptionistin hat gesagt, es tue ihr sehr leid, sie kann mein Zimmer nicht verlängern. Dafür braucht sie die Autorisation des Karteninhabers, der auch die Buchung vorgenommen hat. Und das ist Dad. Und ich rede nicht mit Dad. Was heißt, dass ich ab morgen kein Dach über dem Kopf und auch kein Geld mehr habe. Ich habe wirklich Angst.
Ich werde also lieber über meine Kindheit schreiben.
Ich wurde am 5. April 1990 geboren, als Tochter von Meredith Baum und Walter Baum. Dad ist Deutscher, lebt aber seit fast vierzig Jahren in Australien. Ich habe eine Halbschwester, Ella, aus der ersten Ehe meiner Mutter, und einen Halbbruder, Charlie, aus der ersten Ehe meines Vaters. Ella ist elf Jahre älter als ich, Charlie dreizehn.
Ich will hier wirklich aufrichtig sein. Wenn die Zeit gekommen ist, meine Autobiografie zu veröffentlichen, werde ich in den nächsten Absätzen vermutlich eine Menge ändern müssen, damit sich niemand verletzt fühlt, doch in der ersten Fassung will ich möglichst ehrlich sein. Also …
Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Vom Moment meiner Geburt an – na ja, seit ich mich erinnern kann – habe ich gespürt, dass ich gewollt war und geliebt wurde. Bis heute sind Mum und Dad auch das verliebteste Paar, das ich kenne. Sie gehen wahnsinnig liebevoll miteinander um, und obwohl ich über die ersten Ehen nichts Genaues weiß, wird aus den wenigen Andeutungen klar, dass keiner von beiden eine gute Ehe hatte, was auch logisch ist, sonst hätten sie sich ja nicht scheiden lassen. Mum und Dad haben sich auf sehr romantische Art und Weise kennengelernt, in einem Gartencenter – und Dad heißt Baum, wie cool ist das denn! Es war wohl Liebe auf den ersten Blick, und ein Jahr später haben sie geheiratet. Bald darauf bin ich gekommen – ich war halt immer schon ein unruhiges Kind, sagt Mum!!!
Zuerst haben wir in Richmond gelebt, einem ziemlich kosmopolitischen Viertel im Zentrum von Melbourne, in einem sehr schönen Haus. Mum hat sich um mich gekümmert, Dad die ganze Zeit gearbeitet, aber ich kann ehrlich sagen, ich hatte nie das Gefühl, dass mir der Vater fehlt. Er war immer für mich da, und er ist bis heute unheimlich großzügig und liebevoll.
Meine Halbschwester Ella und mein Halbbruder Charlie waren immer wahnsinnig nett zu mir.
Meine Halbschwester Ella und mein Halbbruder Charlie haben mich mit offenen Armen aufgenommen und waren der beste Bruder und die beste Schwester, die man sich nur wünschen kann.
Charlie hat sich wirklich Mühe gegeben, aber meine Halbschwester Ella hat mich immer schon gehasst.
Ich muss, was jetzt kommt, später streichen, aber erst mal schreibe ich die Wahrheit. So lang ich denken kann, haben sich die beiden gegen mich verbündet. Natürlich war der Altersunterschied sehr groß, aber ich erinnere mich ganz deutlich, dass ich mit ihnen spielen wollte, und immer hat es nur geheißen: »Nein, Jess, lass uns in Ruhe. Nein, Jess, dafür bist du noch zu jung.« Ein Glück, dass ich gern allein war und damals schon Tanzen und Singen geübt habe, sonst wäre ich ein sehr einsames, trauriges Kind gewesen. Die beiden haben die ganze Zeit gekichert und getuschelt, und wenn Mum und Dad einmal gesagt haben, sie sollten mich mit einbeziehen, haben sie immer erst mal Nein gesagt, und wenn sie dann doch einverstanden waren, haben sie so ein Theater veranstaltet, dass ich keinen Spaß mehr an der Sache hatte. Mum ist das natürlich aufgefallen. Das war auch nicht zu übersehen. Und obwohl sie die beiden immer wieder gedrängt hat, nett zu mir zu sein, waren sie es häufig nicht, und ich habe mich oft sehr ausgeschlossen gefühlt.
»Die beiden sind ein bisschen eifersüchtig«, hat Mum manchmal gesagt, aber damals, als Kind, habe ich das nicht verstanden, doch inzwischen kenne ich viele in meinem Alter mit geschiedenen Eltern und Halbgeschwistern, und jetzt verstehe ich, dass es echt nicht immer leicht ist, wenn man das Gefühl hat, nur halb zu seiner
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