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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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mageren Körper herunterhängt und die Knochen ihres Brustkorbs hervortreten. In der Truhe rechts entdeckt sie ein Paar vom vielen Tragen ganz abgewetzte Satinslipper mit Marabufedern, schlüpft hinein und hinkt, die Plastikfolie in der Hand, zum Spiegel hinüber. Dreht sich hin und her, um sich in diesem Staat zu bewundern.
    »Macht nichts, wenn ich das tue«, sagt sie. Zieht den Ausschnitt herunter, um ihr nicht vorhandenes Dekolleté zu entblößen, so wie sie es bei ihrer Mutter immer gesehen hatte, wenn sie sich abends zum Ausgehen bereit machte.
    Als Tessa den Korridor entlangtapst, läuft sie Hugh über den Weg. Plötzlich ist es ihr peinlich, in diesem abgelegten Staat gesehen zu werden. Seit Hugh nach Eton gegangen ist, fühlt sie sich mit ihm nicht mehr wohl, wird ihr klar. Es ist, als wäre ihr Bruder fortgegangen und an seiner Stelle irgendein herablassender fremder Eindringling wiedergekommen. Sie hat nicht einmal gewusst, dass er schon da ist.
    »Hallo!«, sagt er. »Was hast du denn da an?«
    Sie schaut an sich hinunter. »Ach, bloß etwas aus der Kostümtruhe«, antwortet sie.
    »Kostümtruhe?«
    »Du weißt doch. Auf dem Dachboden.«
    »Kostümierung? Mutter wird Hackfleisch aus dir machen, wenn sie dich in dieser Aufmachung sieht.«
    »Ich bin gerade auf dem Weg in mein Zimmer, um mich umzuziehen.«
    »Na, dann ist es ja gut. Und, wie geht es in der Schule?«
    »Gut«, antwortet sie. »Du weißt schon. Scheußlich.«
    »Bei mir ist es das Gleiche«, sagt er. »Und, welche von den dummen Proleten sind denn noch da? Oder haben wir das Haus endlich wieder ganz für uns?«
    »Es ist wieder einmal typisch«, antwortet Tessa. »Die Einzige, die noch da ist, ist die Schlimmste.«
    »Was? Die lausige Lily?«
    Sie nickt.
    »Ha!«, sagt er. »Das Straßenkind ist also immer noch hier? Mach dir nichts draus, Tess. Wo ist sie denn?«
    Tessa nickt in Richtung der Treppe zum Dachboden. »Da oben«, antwortet sie.
    »Echt?«
    »Ja«, sagt Tessa. »Deshalb bin ich heruntergekommen. Sie hat angefangen, mich herumzuschubsen.«
    »Na, darum werde ich mich kümmern«, erwidert er.
    Tessa erstarrt, schaut ihn an.
    »Was ist?«
    »Lass es«, sagt Tessa.
    »Halt den Mund, Tessa«, befiehlt Hugh. »Das geht dich gar nichts an.«

40
    »Komm schon«, sagt er. »Gehen wir ins Pub. Tina ist dort, und ich wette, du könntest einen Tapetenwechsel vertragen.«
    Er wäscht sich die Hände an der Spüle. Seine Hände und seine schlanken, muskulösen Unterarme. Sie scheinen mit schwarzer Schmiere bedeckt zu sein, was sie erstaunt, da sie nicht wusste, dass man als Elektriker bei der Arbeit schwarz verschmierte Hände bekommt …
    »Hmm …«
    »Sie kann bei uns übernachten. Unsere Mutter passt heute Abend auf die Kinder auf, und ich glaube nicht, dass es ihr etwas ausmacht, wenn noch eines mehr da ist.«
    Ihr fällt kein weiterer Einwand ein, obwohl sie die Einladung seltsamerweise beunruhigend findet. Sie war nicht mehr aus – jene Art von Ausgehen, die keine andere Rechtfertigung hat, als sich zu amüsieren – seit … seit … sie kann sich gar nicht mehr daran erinnern. Seit Yasmin auf der Welt ist, vermutet sie. Kurz nach ihrer Geburt fing Kieran an, allein auszugehen, und hat nie angeboten, sie mitzunehmen. Und wie es bei vielen Leuten, die selbst fremdgehen, der Fall ist, war er bei dem Gedanken, dass sie ohne ihn ausgehen könnte, äußerst argwöhnisch und eifersüchtig. Nachdem ihr durch eine Tür, die wütend zugeknallt wurde, ein paar Finger gebrochen wurden, nur weil sie sich mit ein paar Freundinnen treffen wollte, fragte sie nur noch zögerlich um Erlaubnis, und es dauerte nicht lange, da wandten sich ihre alten Freundinnen, entmutigt von ihren unverbindlichen Antworten, ab und suchten sich eine geselligere Kameradin.
    Was soll ich anziehen? Weiß ich überhaupt noch, wie man eine Unterhaltung führt? Wenn es nicht um Yasmin, die Arbeit oder die Frage geht, warum ich einen Überziehungskredit brauche?
    »In Ordnung.«
    »Begeisterung. Genau, das gefällt mir.«
    Sie lacht. »Tut mir leid. Ja. Kannst du mir zehn Minuten geben? So kann ich ja nicht ausgehen.«
    »Du siehst großartig aus. Du brauchst nur noch ein Paar Gummistiefel, dann merkt keiner, dass du nicht schon dein ganzes Leben zu den Einheimischen hier zählst. Ich sag dir was. Soll ich Yasmin nicht gleich mit zu mir nehmen? Ich hätte nichts dagegen, mich auch ein bisschen frisch zu machen. Dann treffen wir uns in einer Dreiviertelstunde im

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