Das Haus in Georgetown
an und trug sie zum Esszimmertisch. Das alte Haus wirkte gleich viel besser: Man sah nicht mehr, dass sie sich noch nicht für eine bestimmte Wandfarbe entschieden hatte, und die Kratzer im Holz waren kaum der Rede wert.
Alex stand jetzt neben ihr. „Hey, das ist Klasse. So sieht es viel besser aus.“
„Wie schade, dass dein Computer abgestürzt ist und die Arbeit im Internet somit für die Katz war.“
„Ich habe schon einiges gefunden und eine Seite ausgedruckt.Den Rest kann ich später machen. Soll ich noch mehr Kerzen anzünden?“
Alex fand eine Kiste mit Teelichten, und Faith brachte Saftgläser, um die kleinen Kerzen vor Zug zu schützen. Fünf Minuten später tanzten Schatten über die Wände. Faith ließ sich auf dem Sofa nieder und zog die Beine halb unter den Körper.
„Ihr werdet noch die ganze Bude abfackeln.“ Remy kam die Treppe herunter und hockte sich niedergeschlagen auf eine der unteren Stufen.
Faith ahnte, dass ihre Tochter gerade mit sich rang. Remy konnte nichts anderes tun, als mit ihrer Familie zu reden, aber das war eigentlich das Letzte, was sie wollte.
Alex ließ sich neben seine Mutter fallen. „Wir können Scharade spielen, wie früher, als Daddy ...“ Er bremste sich, aber es war zu spät.
„Scharade ist doof“, meinte Remy. „Leute raten lassen, was man darstellt, wenn man es ihnen einfach sagen könnte.“
„Was weißt du schon“, maulte Alex.
Wenn sie früher die Kinder beschäftigen musste, hatte Faith Brettspiele hervorgezaubert oder ihnen aus den Kinderbuchklassikern vorgelesen, wobei das Kerzenlicht über die Seiten geflackert war wie in jenen Tagen, da Candace und Jedediah Wheelwright dieses Haus bezogen hatten.
Daran musste sie jetzt denken. „Als eure Urururgroßmutter in diesem Haus gelebt hat, das damals brandneu war, gab es wahrscheinlich gar keinen Strom. Sie hat Hüte angefertigt. Habe ich euch das schon erzählt? Sie hatte einen kleinen Laden auf der Wisconsin Avenue. Ich glaube, wenn sie abends nach Hause kam, brachte sie kistenweise Federn, Tüll und Perlen mit und all die anderen Sachen, die eine gute Hutmacherin brauchte, und setzte sichin genau dieses Zimmer, um Hüte für die reichen Ladys herzustellen. Alles nur beim Schein von Kerzen und Petroleumlampen.“
„Hüte?“ Remys Tonfall ließ keinen Zweifel daran, was sie davon hielt. Hüte und Mützen waren etwas, das man nur im Winter trug, und auch dann nur unter Protest.
„Damals ging keine Dame, die etwas auf sich hielt, mit unbedecktem Kopf aus dem Haus. Die Frauen hatten ellenlanges Haar, und die Hüte, unter denen sie es verbargen, waren über und über verziert.“
„Mit was für Verzierungen?“ fragte Alex.
„Blumen und Federn. Von echten Vögeln ...“
„Lebenden?“
Faith war in ihrem Element. Sie berichtete ihnen, wie die „Audubon Society“ gegründet worden war, um die Reiher zu schützen, die damals massenhaft abgeschlachtet wurden.
„Woher weißt du das alles?“ Gegen ihren Willen war Remys Interesse doch erwacht.
„Ich habe in der Bibliothek einen Artikel gefunden.“
Alex formte mit seinen Händen einen Vogel, dessen Schatten er über die Wand fliegen ließ. „Wieso hat sie Hüte gemacht? Hat ihr Mann nicht gearbeitet? Mussten damals alle arbeiten?“
Faith war froh, ihr neues Wissen mit jemandem teilen zu können. Die Kraft und der Einfallsreichtum ihrer weiblichen Vorfahren, von denen sie früher nicht das Geringste gewusst hatte, machte sie stolz. Allmählich erkannte sie, dass sie von starken, bemerkenswerten Frauen abstammte.
„Also, ich denke, dass sie angefangen hat zu arbeiten, damit sich die beiden dieses Haus leisten konnten. Jedediah ist jung gestorben. Sie hatten nur ein Kind, eure Ururgroßmutter Violet, und ich vermute, dass Violet im Laden aushelfen musste.“
„Ich ...“ Alex’ nächste Frage wurde von einem Klopfen an der Haustür unterbrochen.
Widerstrebend stand Faith auf. „Ich hoffe, mit Dottie Lee ist alles in Ordnung. Vielleicht braucht sie Kerzen.“
„Dottie Lee hat überall Kerzen“, sagte Alex. „Für eine gemütliche Stimmung, wenn die Männer sie besuchen kamen.“
Faith fragte sich, ob Alex vielleicht doch zu viel Zeit in Gesellschaft ihrer Nachbarin verbrachte.
Mittlerweile schien sich das Unwetter genau über ihnen auszutoben, und der Regen fegte in stahlgrauen Strömen über die Straße. Sie schaute durch das Fenster neben der Tür und sah unter einem Regenschirm ihre Mutter.
Rasch öffnete sie und winkte
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