Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
fallen. Nein, entschied sie. Eher wie der Vater , so die Tochter. Er war derjenige, der sich mit geheimen Verabredungen und heimlichen Affären auskannte. Ihre Mutter konnte beim besten Willen kein Geheimnis bewahren. Sie konnte gar nicht so berechnend und unaufrichtig sein, all das im Voraus arrangiert zu haben. Sie war viel zu ehrlich. Viel zu durchschaubar .
Und außerdem hing sie immer noch an ihrem untreuen Mann. Es war nur allzu offensichtlich, dass sie nach wie vor hoffte, er würde seinen Irrtum erkennen und nach Hause zurückkehren. Welchen Unterschied macht es also letztendlich, ob ihre Begegnung mit Gary Wer-auch-immer geplant war oder nicht? Der Mann würde sich kaum lange halten. Ihr Vater müsste nur den kleinen Finger krümmen, und ihre Mutter käme zu ihm gerannt. Er und nicht Alkohol war die Droge, von der sie abhängig war.
Brianne ließ den Blick über den Zeltplatz zur Freundin ihres Vaters schweifen, die abseits für sich saß und so tat, als wäre sie in ein Buch vertieft. Doch der Strahl ihrer Taschenlampe war ziellos auf den Boden und nicht auf die bedruckte Seite gerichtet, und der zum größten Teil hinter den Bäumen verborgene Mond war bestimmt nicht hell genug, um in seinem Licht zu lesen. Trotz all der Sterne war es draußen immer noch unheimlich dunkel, dachte Brianne, schlang zitternd die Arme um ihre Knie und stellte sich vor, es wären Tylers.
Was zum Teufel machte sie zwischen Zelten in verschiedenen Formen und Größen auf dem harten, kalten Boden vor einem riesigen Lagerfeuer in Gesellschaft irgendwelcher wildfremden Ökos, die sie in ihrem Leben hoffentlich nie wiedersehen würde? Wie war das passiert?
Nichts lief wie geplant.
Als ihr Vater die Idee von diesem Wochenendausflug zum ersten Mal erwähnt hatte, hatte sie sich gesträubt. Auf keinen Fall würde sie drei Tage und Nächte mit der blöden Gans in den Bergen verbringen, die ihre Familie zerstört hatte. Auf keinen Fall würde sie mit dem kleinen Flittchen nett tun, das ihrer Mutter so viel Kummer bereitet hatte.
Nur dass Jennifer weder eine blöde Gans noch ein Flittchen war, wie sich herausgestellt hatte. Eigentlich war sie sogar ziemlich cool. Kein bisschen bestimmend oder voreingenommen. Sie schien sich ernsthaft für Briannes Ansichten zu interessieren und hörte sich im Gegensatz zu ihrer Mutter auch an, was Brianne zu sagen hatte. Manchmal fragte Jennifer sogar sie um Rat. Wann hatte ihre Mutter das zum letzten Mal getan?
Ihre Mutter hatte sich in den vergangenen Monaten vielmehr immer weiter zurückgezogen, war ungeduldig, ja regelrecht abschätzig geworden. Vielleicht weil die Scheidung fast rechtskräftig war. Vielleicht weil sie vierzig wurde. Vielleicht weil ihre Mutter eine hoffnungslose Alkoholikerin war. Warum auch immer, es war dieser Tage jedenfalls bestimmt nicht einfach, es mit ihr auszuhalten. Deshalb hatte Brianne sich auch immer mehr für die Idee erwärmt, dem wachsamen Auge ihrer Mutter zu entkommen, und sich zuletzt richtig darauf gefreut.
Auch Tyler hatte die Neuigkeit begeistert aufgenommen. »Begreifst du denn nicht?«, hatte er gefragt, als sie ihm von dem geplanten Wochenendausflug erzählt hatte. »Es ist perfekt.«
Sein Plan war simpel. Er würde ihr bis zu dem Hotel folgen, sich ein Zimmer in einem Motel in der Nähe nehmen oder zur Not auch in seinem Auto schlafen. Sie würden eine zufällige Begegnung inszenieren, und dann sollte Brianne ihren Vater überreden, dass Tyler sich ihnen anschließen durfte. Sie glaubte nicht, dass das ein großes Problem werden würde. Bei all seiner scheinbaren Weltläufigkeit war Evan Rowe immer überraschend leicht manipulierbar gewesen.
Leider war er auch genauso unzuverlässig.
Deshalb war sie weder besonders überrascht noch enttäuscht gewesen, als er angerufen hatte, um zu sagen, dass er sich verspäten würde. Davon war sie schon ausgegangen. Sie hatte Tyler sogar gewarnt, mindestens zwei Stunden Verspätung einzuplanen, aber Tyler war von sich eingenommen wie immer trotzdem zur verabredeten Zeit losgefahren. »Dann bin ich halt ein bisschen früher da und kann schon mal die Gegend erkunden«, hatte er lachend gesagt.
Und dann hatte ihr Vater angekündigt, dass er sich noch weiter verspäten würde. Und dann hatte ihre Mutter sich bereit erklärt, sie zu fahren.
Und dann … Und dann …
Brianne blickte wieder zu ihrer Mutter und spürte das Brennen der Ohrfeige, als wäre es gerade eben passiert.
»Alles okay?«, fragte ihre Mutter,
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