Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
verdammt noch mal. Können wir es einfach noch mal versuchen?«
»Nein. Ich kann nicht laufen. Auf gar keinen Fall schaffe ich noch eine halbe Meile.«
»Und was schlägst du vor? Dass wir einfach hier sitzen bleiben und hoffen, dass uns irgendjemand zufällig findet?«
»Nein«, sagte Brianne. Was schlug sie vor? Glaubte sie, ihre Mutter würde sie wundersamerweise finden und retten?
»Was dann? So viele Möglichkeiten haben wir nicht, Brianne. Entweder du stehst auf, oder ich gehe alleine weiter.«
Einen Moment lang schwiegen beide. »Ich kann nicht aufstehen«, sagte sie dann. »Ich kann einfach nicht.«
Tyler ließ sich neben sie auf den feuchten Boden sinken. »Okay, hör zu. Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, wenn ich allein weitergehe. Allein sollte ich von hier aus ziemlich schnell bei der Straße sein.«
»Vorausgesetzt, du verläufst dich nicht«, unterbrach Brianne ihn.
»Vorausgesetzt, ich verlauf mich nicht«, wiederholte Tyler. »Und vielen Dank für dein Vertrauen.«
»Immer gerne.«
»Jedenfalls wohnt hoffentlich jemand in dieser Hütte, und ich erschreck die Leute nicht halb zu Tode, wenn ich sie mitten in der Nacht wecke …«
»Und dann erzählst du ihnen, was passiert ist …«
»Und sie alarmieren die Polizei oder irgendwen …«
»Und dann kommst du zurück und holst mich.«
»Und dann kommen wir zurück und holen dich«, wiederholte Tyler.
»Und wenn niemand zu Hause ist?«
»Dann breche ich die Tür auf und telefoniere von dort aus …«
»Und wenn du die Tür nicht aufbrechen kannst? Oder wenn es kein Telefon gibt ?«
»Was, wenn ich unterwegs dem bösen Wolf begegne?«, erwiderte Tyler scherzhaft.
»Das ist nicht witzig, Tyler.«
»Hör mal, was kann denn Schreckliches passieren? Niemand ist zu Hause? Ich schaffe es nicht, die Tür aufzubrechen? Ich komme zwar rein, aber sie haben kein Telefon? Im allerschlimmsten Fall wäre ich umsonst dorthingelaufen. Dann kehre ich um und komme wieder zurück.«
»Versprichst du mir das? Du lässt mich nicht hier liegen?«
»Wenn ich das vorhätte, wäre ich schon beim ersten Mal nicht zurückgekommen.«
»Warum hast du das getan? Ich war so gemein zu dir.«
»Na, ich schätze, das hatte ich irgendwie verdient.«
»Ja, das kann man allerdings sagen.«
Er lachte. »Ich denke, ich sollte aussteigen, solange ich in Führung bin.« Er richtete sich zu voller Größe auf.
Brianne hatte sofort Zweifel. »Ich weiß nicht. Vielleicht solltest du einfach hier bei mir bleiben.«
»Deine Entscheidung«, erklärte er ihr und hockte sich wieder neben sie. »Aber ich kann in weniger als einer halben Stunde dort sein und wieder zurück.«
»So schnell?«
»Okay, ich brauche höchstens eine Stunde.«
»Okay.«
»Okay? Im Sinne von …?«
»Okay im Sinne von okay, bevor ich es mir wieder anders überlege.«
»Okay«, wiederholte er und richtete sich erneut auf. »Ich bin bald zurück.«
»Beeil dich«, rief sie ihm nach und stellte verzweifelt fest, dass sie ihn schon nicht mehr sehen konnte. »Scheiße!« Sie hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. »Tyler«, rief sie. »Tyler, ich hab es mir anders überlegt. Komm zurück.«
Aber wenn er sie hörte, antwortete er nicht. Und er kam auch nicht zurück.
»Scheiße«, sagte Brianne noch einmal und saß, so schien es ihr, eine Ewigkeit völlig reglos da, obwohl es wahrscheinlich nur fünf Minuten waren. Schließlich legte sie sich erschöpft von der Tortur dieser Nacht auf den Boden, rollte sich fest zusammen, schloss die Augen und stellte sich vor, sich in die warmen Arme ihrer Mutter zu schmiegen, während sie den Tropfen lauschte, die nach dem Regen von den rauschenden Blättern fielen.
Die Hand um einen kleinen Hügel feuchter Erde gelegt schlief sie wenige Minuten später ein.
KAPITEL 22
Nikki lag mit geschlossenen Augen, aber hellwach im Bett, hörte, wie Kenny unter der Dusche sang, und ging im Kopf noch einmal die Ereignisse des Abends durch, als sie ein Klopfen am Fenster hörte. Anfangs tat sie das Geräusch als ein letztes Zeichen des abklingenden Sturms ab, hilflose Äste, die von feindlichen Winden gepeitscht auf der vergeblichen Suche nach Schutz an den Scheiben kratzten. Hier gibt es keinen Schutz, dachte sie und lächelte bei der Erinnerung an die letzten panischen Anstrengungen ihrer jüngsten beiden Opfer. Nur dass die verzweifelt versucht hatten, raus- und nicht reinzukommen. Das Ergebnis war am Ende dasselbe gewesen. Es hatte kein Entkommen gegeben. Und
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