Das Hundehotel
Probleme schaffen. Solange wir getrennt waren, waren wir zumindest zufrieden. Warum sollten wir das aufs Spiel setzen?
«Vergiß es», sagte Hetty, «jedenfalls im Moment. Dein nächster Fall ist unterwegs.» Damit legte sie auf. Sie sprach fast nie von ihrem Mann Mike. Er reiste dauernd in der Weltgeschichte umher. Er baute Brücken, Überführungen, Straßen, die ihn monatelang im Ausland festhielten. Vielleicht wußte Hetty also, wie es in mir aussah.
Sie behielt letzten Endes immer recht.
«Das ist Smudge», verkündete Hetty. «Oder Fudge...» Sie machte eine Pause. «Nein, ich bin sicher, er heißt Smudge.» Sie hielt ein kleines, wuscheliges weißes Bündel hoch. «Übrigens ein sehr kranker Smudge. »
Ich nahm ihn auf den Arm und bekam einen Schreck. Er wog fast nichts. Smudge war zumindest ein neuer Name. Die Tiggys und Mitzis und Susies kamen und gingen und nahmen den Platz der Lassies und Rovers und Prices ein, die es in meiner Kindheit gegeben hatte. Es bewies nur, daß die Frauen endlich aufgeholt hatten, nicht nur in der Welt der Menschen. Hündinnen waren beliebter als Rüden. Das Weibliche zieht uns hinan. Es dauerte seine Zeit, bis man es einsah, aber nun, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, können wir etwas hoffnungsvoller in die Zukunft sehen.
Hetty wird die Smudge-Episode wohl nie vergessen. Ich auch nicht. Und Smudge bestimmt ebensowenig. Aber an dem Tag, als er kam, verzweifelte ich, noch ehe ich gefragt hatte, was mit ihm los sei. Bei ihm schien jede menschliche Hilfe zu spät zu kommen, ganz zu schweigen von meiner.
«Er stirbt ja an Auszehrung!» rief ich mit dem Pathos einer viktorianischen Romanheldin. Hetty lehnte am Tisch. Ihre Haare waren gewachsen, seit wir uns kennengelernt hatten, und wellten sich jetzt an ihren Schultern statt an den Ohren. Sie trug eine Hose aus Wildseide mit dazu passenden gelbbraunen Wildlederstiefeln und ein T-Shirt. Sie hätte jeder Penthouse -Nummer zur Ehre gereicht. Als ich am Spiegel vorbeiging, warf ich einen Blick auf meine Haare. Verglichen mit ihren sahen sie aus wie ein plusteriger Mop, aber das taten auch einige der nettesten Hunde, die ich kannte. Fürs Fachorgan Küche und Keller waren wir immer noch gut genug.
Hetty nahm den Becher mit der Aufschrift Schlürf mich schnell und streichelte den Kopf des neuen Patienten. «Armes kleines Ding... Er gehört einem reizenden Ehepaar in den Vierzigern, die ihn über alles lieben. Er ist wahrscheinlich eine Mischung von Malteser und Lhasa-Apso. Vier oder fünf Jahre alt. Bis jetzt gesund, bis auf ein paar Kleinigkeiten, einen Dorn in der Pfote und Ohrenentzündung und das übliche. » Ich wartete. Sie tat Zucker in ihren Kaffee. An Hettys Hüften rundeten sich keine Kalorien.
«Aber er frißt nicht?» fragte ich überflüssigerweise. Natürlich lassen alle Hunde ihr Futter dann und wann stehen. Das ist im Grunde gar nicht schlecht. Sie tun es instinktiv, weil es ihrer Gesundheit zuträglicher ist, wie sie noch vieles andere instinktiv tun. Den meisten von uns würde es auch dann und wann guttun. Gönnt den Innereien eine Ruhepause. «Ist das alles?»
«Schon seit zehn Tagen nicht mehr!»
Er war schlaff und widerstandslos wie ein Schwerkranker. Ich fühlte die hervorstehenden Rippen, sah Speichel aus dem halb geöffneten Maul rinnen, leblose Augen. Ich empfand nicht nur Schreck und Mitleid, sondern auch eine furchtbare Angst. Ich war ihre letzte Hoffnung, und wenn ich nichts tun konnte, würde dieses arme, liebe kleine Wesen verhungern.
«Anorexia nervosa?» vermutete ich, selbst nervös, um meine Gefühle mit schwarzem Humor zu überspielen.
«Ich habe ihn gründlich untersucht. Kein Fieber, keine Verstopfung, kein Magen-Darm-Befund. Nichts, was darauf hinweisen könnte, warum er nicht frißt, und die Besitzer haben ebenfalls alles versucht. Es bleibt nur der Schluß, daß es psychosomatisch ist. » Ich prägte mir das großartige Wort ein, um es in meinem Referat vor der Veterinärmedizinischen Gesellschaft zu benutzen, zusammen mit «Gamellen» und «Gameten», vor deren Wirkung ich überzeugt bin, vorausgesetzt, ich bekomme endlich heraus, was sie bedeuten.
«Hetty», sagte ich, «die Verantwortung ist zu groß. Ich meine, wenn du nicht rausfindest, was ihm fehlt, wie um alles auf der Welt soll ich es dann?»
«Weil ich meine, daß es jemand tun muß, der unbefangen ist. Jemand, der ihn völlig unvoreingenommen sieht. » Nach einer Pause fügte sie hinzu: «Wenn du es nicht versuchst,
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