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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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zufrieden geben. Endlich trat ein Bauer hinaus und verprügelte sie, bis sie winselten. Und Bienmann hustete. Manchmal wachte Konrad halb auf und sah Vaters Schatten; gebückt saß er, vom Anfall zusammengezogen und geschüttelt. Die weite Fahrt mit dem Rad hatte ihm sehr zugesetzt. Er fieberte.
    Gegen fünf Uhr brachen sie leise auf. Das Tauwetter war in der Nacht stärker geworden. Große Lachen blinkten auf den Wegen. Als sie die Küstenstraße erreicht hatten, sahen sie die ersten Wagen. »Da ist ja die Kutsche wieder!«, rief Konrad. Schnell trabte das leichte Gefährt vor ihnen her.
    »Guten Morgen!«, wünschte er laut.
    Die dicke Frau drehte sich mürrisch um. »Na, seid ihr auch schon aus den Federn?«
    »Schon lange.«
    »Vier Kinder und auf der Flucht«, hörte Konrad sie vor sich hin schimpfen.
    An der Kreuzung gab es eine Stockung. Dann war auch Bienmanns Wagen in die Kolonne eingekeilt.
    »Warum geht es nicht weiter?«, schrie die dicke Frau.
    Vater lief nach vorn, um zu sehen, was es gab. Bald schon war er zurück. Er war blasser als sonst. Seine Lippen hielt er zusammengepresst und die Muskelstränge an seinen Backen lagen kantig unter der Haut.
    »Zu spät«, sagte er leise. Mit einem Mal schien er sehr müde zu sein.
    Er stützte sich auf Lotters Rücken.
    »Was hast du, Johannes?«
    »Die Wagen kommen die Küstenstraße zurück. Sie liegt unter starkem Beschuss.«
    »Also eingeschlossen«, flüsterte die Mutter und legte einen Augenblick die Hand vor die Augen.
    Zurück nach Leschinen?, dachte Konrad.
    Doch vorläufig versperrten Karren und Kutschen, Wagen und Pferde den Weg in jede Richtung. Eine Frau trat heran.
    »Nur keine Angst, Bauer«, sprach sie Vater an. »Gleich wird es weitergehen. Wir fahren über das Haff.«
    »Übers Eis?«, stieß Vater hervor.
    »Warum nicht? Die Ersten haben schon gestern den Weg gemacht.«
    Vater hob eine Hand voll Schnee vom Straßenrand. Er war pappig und klebte. Das Wasser tropfte heraus.
    »Ach, Bauer«, lachte die Frau, »du wirst mit deinem leichten Einspänner schon durchkommen.«
    »Das Eis auf dem Haff ist nicht dick«, sagte Vater.
    »Stimmt, Bauer, stimmt. Aber willst du hier stecken bleiben und verrecken? Sicher, manche sind eingesunken. Ohne Geschrei, Bauer, ganz schnell. Erst die Hinterräder, weißt du, dann sachte die Räder vorn. Schließlich zog die Last die Pferde nach. Andere waren Zielscheiben für russische Tiefflieger. Umgestürzt, erschossen, ertrunken. Aber viele sind durchgekommen. Bauer. Raus aus dem Kessel.«
    Sie trat näher an den Wagen heran und fuhr leiser fort: »Es sollen in Danzig Schiffe abfahren nach Kiel. Sieh nur, Bauer, dass du sie noch erreichst.«
    Unvermittelt brach sie ab, wendete sich weg und patschte mit ihren dünnen Beinen durch den Schlamm.
    Sie schien sich nichts zusammengereimt zu haben. Die Kolonne kam in Bewegung, fuhr zehn oder zwölf Meter und stockte wieder, ruckte, musste noch einmal anhalten. An der Kreuzung standen Pioniere, die abwechselnd zwei Wagen von der Küstenstraße einbiegen ließen und einen vom Land her zum Haff einwiesen.
    »He, du!«, schrie die dicke Frau auf dem Kutschbock. »Ist das gerecht? Einen von hier und einen von dort. So muss es gehen.«
    Der Soldat kümmerte sich nicht um sie.
    »Ich werde es dir gleich zeigen, du! Wir wollen auch auf das Haff!«
    »Ruhe, Frau. Die Straße liegt unter Beschuss. Sollen die Leute darauf warten müssen, bis sie abgeschossen werden?« Inzwischen war dem Wagen vor der Kutsche die Fahrt freigegeben worden. Von der Küstenstraße bog ein schwer beladener Zweispänner ein. »Und dann bin ich an der Reihe«, schrie die Frau und trieb das Gespann an.
    »Zurück!« Der Soldat griff in die Zügel. Vom Straßenrand liefen drei, vier zur Hilfe herbei.
    »Macht euch fort!«
    Die Frau stand breitbeinig, hielt in der linken Hand die Zügel und griff nach der Peitsche. Feurige Röte bedeckte ihr Gesicht bis zum Hals hin.
    »Keinen Unsinn, Frau!«, mahnte ein besonnener, älterer Gefreiter.
    »Unsinn?« Sie schäumte.
    Die Soldaten drängten ihre Pferde zurück. Da schwang sie die Peitsche. Die Lederschnur traf den Gefreiten und schnitt ihm einen roten Striemen über das Gesicht. Dann schlug sie auf die Pferde ein. Die geängstigten Tiere versuchten sich zu bäumen. Ihre Hufe blitzten auf, die Ohren pressten sie an die Köpfe.
    Der Wagen rollte an den Rand der Kreuzung zur Straße hin, die ostwärts führte. Sie schlug wieder und wieder, rasend, außer sich, auf

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