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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Eimer durch die Postenkette auf das Eis und sagte, ich wollte Wasser für das Pferd. Da ließen sie mich durch. Ich schritt ganz langsam und horchte, ob nicht ein Befehl mich zurückrief. Dann ging ich zwischen zwei Fuhrwerken. Die alte Bäuerin merkte gleich, was ich vorhatte, und winkte mir zu. Schnell verbarg ich mich auf ihrem Wagen. Sie deckte mich mit einem Oberbett zu. So gelang es durchzukommen.«
    »Es ist gut, dass du wieder bei uns bist, Johannes.« Die Mutter blickte ihn an. Ein Lächeln huschte um ihren Mund. »Was wären wir ohne dich?«
    »Vater«, sagte Albert.
    »Ja, Junge?«
    Eine Sekunde zögerte der Blondschopf. Dann nahm er seine Faust aus der Tasche, öffnete sie und streckte Vater sein verklebtes, rotes Himbeerbonbon hin. »Das schenke ich dir.«
    »Woher hast du denn den Schatz?«, lachte Mutter.
    »Ich habe das Bonbon von einem Soldaten geschenkt bekommen.«
    »Nur eines?«
    »Ja, nur dies.«
    Der Vater nahm das Bonbon und steckte es in den Mund. »Hmm, das schmeckt mir aber gut.«
    Es war ein klarer Wintertag mit eisblauem Himmel. Die Küste lag in einem dünnen Nebelschleier. Die Wagen fuhren langsamer. Vor ihnen hatte eine Spalte das Eis zerrissen. Wasser quoll daraus hervor und überspülte die Fläche. Ein paar Bohlen ersetzten die Brücke. Der Wagen vor ihnen fuhr vorsichtig darüber. Heftiger strömte das Wasser aus der Spalte.
    Ein helles Surren jagte durch das Eis und fuhr den Fliehenden ins Mark. Es endete in einem Peitschenknall irgendwo im Haff.
    »Wir werden doch nicht einbrechen, Vater?«, ängstigte Hedwig sich.
    »Kind, sieh doch den Wagen vor uns. Wo das Eis diese schwere Last tragen kann, da können wir getrost und sicher fahren.«
    Gegen zwölf Uhr stockte der Zug. Die ostpreußische Küste war ganz verschwunden und die schneeigen Dünen der Nehrung wuchsen aus der grauen Eisfläche.
    »Soldaten«, schallte es von vorn.
    Sie zogen ihnen entgegen. Vermummt, mit kleinen Fuhrwerken, schwer beladen mit Nachschub, Munition und Lebensmitteln.
    Noch war der Gegenzug nicht ganz außer Sicht, da erscholl hohes Gebrumm. Tausend Augen suchten den Himmel ab. Kinderaugen und Greisenaugen. Tausend Spiegel der Angst. Keine Deckung gab es auf dem Eis, keinen schützenden Hausflur, keinen Keller, nirgendwo einen Baum, einen Graben.
    Es waren zweimotorige Maschinen, die wie gierige Raubvögel dicht über die Dünen wegflogen und auf die wehrlosen Opfer zustießen. Die Maschinengewehre bellten, die Motoren schrien auf, donnerten über Bienmanns Wagen hinweg, wurden leiser, kehrten noch einmal zurück, schienen alles verschlingen zu wollen und verklangen allmählich.
    Vater hielt Lotter kurz am Halfter. Die Kinder hoben die Gesichter. Die Schlange schien sich zu einem Knäuel verwickelt zu haben. Ärgerliche Rufe schallten herüber. Ein Pferd wieherte laut und wild.
    Ein Pistolenschuss knallte.
    »Da schert ein Wagen aus!«, rief Konrad.
    »Er hält aufs offene Eis zu!«, sagte Hedwig ängstlich.
    »Eine Frau steht vorn. Sie reißt dem Pferd den Kopf hoch!«
    »Sie hat zu wenig Kraft. Das Pferd zwingt sie.«
    Toll vor Angst rannte das Pferd. Seine Hufen schlugen auf das blanke Eis und es sprangen helle, gläserne Töne herauf, scharf und durchdringend.
    »Die Spalte!« Vater sah den Riss im Eis.
    »Vielleicht schafft sie es doch?«, hoffte Albert.
    Da erhob sich ein klingendes Bersten, als ob ein Glas zerspringt, in das zu heißes Wasser gegossen wird; ein zorniger Donner folgte ganz nah. Breitbeinig stand die Frau. Plötzlich hatte das Haff den Wagen verschluckt, und mit ihm versank alles, was er getragen hatte. Große Luftblasen quirlten auf. Eine dünne Wasserschicht ergoss sich weit über das Eis. Vater zog die Mütze vom Haar und faltete die Hände.
    Der Treck fuhr an. Wenige Minuten später gelangten sie zu der Stelle, an der das Pferd ausgebrochen war. Neben der zermahlenen Fahrspur lag der Kadaver eines Schimmels in einer schaumigen Blutlache. Ein Mann schnitt dem Pferd einen Streifen Fleisch aus dem Rücken.
    »Was macht er da?«, fragte Hedwig. Ekel stieg in ihr hoch.
    »Er hat Hunger, Kind, und es war ein junges Pferd«, antwortete der Vater.
    Dem Mann rief er zu: »Wie konnte das nur geschehen?«
    »Da!« Der Mann wies mit dem blutigen Messer auf eine Spur von Einschüssen, die sich in gleichen Abständen über das Eis zog. Aus den runden Löchern quollen kleine Springbrunnen.
    »Ein Schuss hat das Pferd erwischt. Hier in den Rücken. Es lebte noch. Sie mussten es erschießen. Da

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