Das Jahrhundert der Hexen: Roman
wurde von Hunderten von Stimmen aufgegriffen.
Der Druck derjenigen, die vor ihm einherging, nahm ihm den Atem und lähmte seine Kräfte. Bis zur Explosion blieben noch vierzig Minuten, der Befehl an die Zentrale harrte noch immer der Bestätigung, das schmale Display des dunklen Kästchens blinkte nach wie vor fordernd rot auf. Der Graf schaukelte langsam die Straße hinunter, im gemütlichen Tempo eines Fahrradfahrers. Der Großinquisitor Wyshnas biss die Zähne zusammen und ging seine bis dato nicht verbrauchten Kräfte nach und nach durch.
Das ist nicht dein Ernst, oder, Klaw?, fragte Djunka erschrocken. Du bist zu schwach, nicht eine Minute wirst du standhalten!
Ich werde nicht standhalten, stimmte er ihr finster zu.
Das ist doch nicht dein Ernst, Klaw! Atryk Ol ist schließlich nicht berühmt, weil er verbrannt wurde, sondern weil er die Mutterhexe aufgehalten hat. Und um sie aufzuhalten, musst du keineswegs einen erniedrigenden und schrecklichen Tod sterben.
Ja, sagte er sich selbst, während er mit aller Kraft die Hand aufs Steuer schlug. Ja, ja, ja!
Der Graf heulte mit widerwärtiger, fisteliger Stimme auf. Wieder und wieder. Das Hupen breitete sich im gesamten Kreis aus, und wenn hier noch ein lebender Mensch war, dann zuckte er jetzt vermutlich zusammen, felsenfest davon überzeugt, das Ende der Welt sei gekommen.
Was ist mit dir, Klaw?, fragte Djunka traurig.
Tut mir leid, Djunka, ich weiß es nicht.
Weshalb tust du das, Klaw?
Weshalb habe ich Tag und Nacht am Grab gesessen, das Gesicht in den welkenden Kränzen vergraben? Weshalb habe ich all das …
Klaw, willst du wirklich … Du, der du nie an Selbstmord gedacht hast, du, dessen stärkster Wille stets der Lebenswille war, du willst einen sinnlosen Tod sterben, Klaw? Du weißt doch genau, dass du beim letzten Akt dieser Tragödie nicht dabei sein musst!
Ich kann dir das nicht erklären, Djun. Jemand verlangt von mir, dass ich dabei bin.
Und das sagst du, der foltern kann?
Das Auto, das über den Beton kroch, bog plötzlich ab.
Es gibt viel, was ich kann, Djun.
Das rote Licht des Notrufs loderte am Armaturenbrett auf.
Klawdi erschauderte. Er bildete sich das nicht ein. Das Licht blinkte und blinkte, bat um seine Antwort, forderte sie …
»Nieder mit dem Abschaum«, sagte er hohnlachend ins Telefon. »Was gibt es?«
Ein kurzes Schweigen.
»Klawdi …«
Er erkannte die Stimme nicht. Zu viele Störungen gab es, zu entstellt klang sie, zu fern und unwahrscheinlich.
»Klawuschka, ich bin's, Fedora … Wir wissen … der Herzog … hat dir … Klawuschka, gib den Befehl. Schnell. Beeil dich.«
»Wo bist du?«
»In Altyza. Die Hexendichte pro Kopf der Bevölkerung nimmt rasant ab, sie ballen sich zusammen, in der Nähe von Wyshna, die kritische Masse …«
»Sind die Kinder bei dir?«
»Ja. Wo bist du, Klaw? Gib den Befehl, aber lass genügend Zeit, damit dich der Hubschrauber abholen kann. Sag mir nur, wo du bist …«
Ein Hubschrauber.
Er senkte kurz die Lider. Es war ihm nie gelungen, das Gefühl genau zu bestimmen, das diese Frau ihm entgegenbrachte. Ob es das war, was alle Welt Liebe nannte?
»Die Koordinaten, Klaw! Gib mir die Koordinaten durch!«
Er schielte auf die Karte. Genau ließ es sich nicht bestimmen, doch das Dorf Podralzy schien nicht weit entfernt zu sein.
»Beeil dich, Klaw! Sonst ist es zu spät!«
»Schweig!«
Warum war ihm, einem erwachsenen, ernsten Mann, nur eine derart lebhafte Phantasie gegeben? Jetzt sah er den Hubschrauber vor sich, der hinter einem Hügel aufstieg, sah die Flügel, die sich in der Luft drehten, sah die Leiter, die heruntergelassen wurde, spürte den Windzug …
In der Ferne zog Wind auf. Immer stärker und stärker. Er fiel über den Graf her, als wolle er ihn von der Straße drängen. Nach einer Weile gab er ihn wieder frei und legte sich.
»Ich kann deinen Vorschlag nicht annehmen, Fedora. Trotzdem vielen Dank.«
»Klawdi! Wo bist du, Klawdi? Klaw!«
Er öffnete das Handschuhfach und zog das Kabel aus dem Anschluss. Das rote Lämpchen erlosch, die Leitung war tot. Klawdi warf den Apparat auf den Beifahrersitz.
Eine spitzbübische junge Frau, eine Hexe auf dem Besen, schaute ihn von der Postkarte an, die an der Seite der Windschutzscheibe steckte. In ihrem Blick lag ein belustigtes Mitgefühl. Bis zur Explosion blieben noch zwanzig Minuten, als ein jäh aufkommender Wind das Auto quer über die Straße schleuderte und mit einem Schlag sämtliche Seitenfenster
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