Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
Urhügel aus dem Meer des Chaos erhob. Man glaubt, dass die dreieckige Form der Pyramiden unter anderem den Urhügel verkörpern soll. Es ist seit Langem bekannt, das der Tempel von Karnak im heutigen Luxor eine rituelle Funktion als Verkörperung dieses Urhügels hatte, doch das ist vielleicht noch nicht alles. Kürzlich führte der Archäologe Angus Graham geophysische Erkundungen durch und verwendete elektrische Widerstands-Tomografie, um anhand des abgelagerten Schlamms den früheren Verlauf des Nils zu ermitteln. Es zeigte sich, dass Karnak in alter Zeit auf einer Insel mitten im Nil lag. Wenn die jährliche Überschwemmung zurückging, wurde das Auftauchen des Urhügels buchstäblich, nicht nur symbolisch nachgespielt.
Ungeachtet ihres religiösen Interesses am Nachthimmel scheinen die Ägypter keine systematischen astronomischen Studien um ihrer selbst willen betrieben zu haben. Diese findet man bei einer anderen alten Kultur: in Babylon.
Babylon war eine von mehreren Zivilisationen in der Region von Mesopotamien, den fruchtbaren Ländern zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat. Heute umfasst dieses Gebiet den Irak und Teile des Irans, Syriens und der Türkei. Die Stadt Babylon lag in Zentralmesopotamien, etwa achtzig Kilometer südlich vom heutigen Bagdad.
In der Bronzezeit gehörten zu Mesopotamien die Reiche der Altbabylonier, Sumerer, Assyrer und Altakkader. Die Reiche von Neu-Babylon und Neu-Akkade folgten in der Eisenzeit. Die Sumerer erfanden um 3500 v. Chr. die Keilschrift, dreieckige Zeichen, die mit einem Stäbchen in Ton eingedrückt wurden. Sie beobachteten den Himmel, kannten die »Wandelsterne«, die wir heute Planeten nennen, und verehrten sie als Götter. Eine alte sumerische Tontafel nennt sieben Himmel und sieben Erden.
Die babylonische Geschichte wird für gewöhnlich in zwei Perioden unterteilt. Der Stadtstaat Babylon wurde zur Regionalmacht, als der sechste König, Hammurabi, 1792 v. Chr. die Regierung antrat, und die altbabylonische Periode datiert von da bis etwa 625 v. Chr. Die neubabylonische Periode folgte, als Nabupolassar nach einem Bürgerkrieg, den der Tod des assyrischen Königs Assurbanipal ausgelöst hatte, die Macht ergriff. Es sind viel mehr Keilschrifttexte aus der neuen als aus der alten Periode überliefert, doch es gibt genug altbabylonische Texte, um zu zeigen, dass die Himmelskunde damals systematisch und organisiert betrieben wurde. Die altbabylonischen Astronomen erstellten um 1200 v. Chr. den ersten bekannten Sternenkatalog, aber viele der Sternnamen sind sumerisch, also müssen sumerische Astronomen noch früher den Himmel erforscht haben.
Die Babylonier ebneten der modernen Astronomie den Weg – und vielleicht auch der Wissenschaft überhaupt. Sie beobachteten die Bewegungen von Himmelskörpern, insbesondere der Planeten, sorgfältig und akkurat. Dann suchten sie nach Mustern und verwendeten Mathematik, um die Daten zu analysieren. Sie entdeckten, dass viele astronomische Erscheinungen periodisch sind: Sie wiederholen sich in ziemlich regelmäßigen Abständen. Es gibt eine Tontafel, die festhält, wie sich die Menge des Tageslichts im Lauf des Jahres ändert, und eine Folge von Tafeln, die Enûma Anu Enlil genannt wird, enthält die Venustabelle des Ammisaduqa, eine einundzwanzigjährige Aufzeichnung der Venusbewegung und die früheste bekannte Entdeckung periodischer Vorgänge bei der Planetenbewegung. Diese Tafel, um 700 v. Chr. hergestellt, ist eine Kopie einer älteren, möglicherweise noch aus der altbabylonischen Ära.
Die Babylonier waren gewissenhafte Beobachter, hatten aber kein großes Interesse an theoretischen Erklärungen, und wir wissen wenig über ihre Kosmologie. Tafeln enthalten Formulierungen wie »der Umfang von Himmel und Erde«, was nahelegt, dass sie die Erde und den Kosmos als ein einziges rundes Objekt betrachteten. Die beiden Komponenten waren gleich wichtig, und beide drehten sich in Kreisen. Die Babylonier verknüpften ihre wissenschaftlichen Untersuchungen der Planeten nicht mit ihren religiösen Ansichten über den Kosmos, und anscheinend dachten sie nicht, dass sich die Planeten selbst in Kreisen bewegten.
Nach 400 v. Chr. verschob sich das Zentrum der Naturphilosophie in der Welt des Altertums nach Griechenland. Philolaos, ein Angehöriger des von Pythagoras begründeten Kultes, betrachtete den Kosmos als ein Zentralfeuer, um das Sonne, Mond, Erde und Planeten allesamt kreisen. Wir bemerken das Feuer nicht, weil es von der
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