Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
sollte man sich anschließen.«
Natürlich war einiges von dem, was er mir erzählte, allgemein bekannt, und einige andere Einzelheiten hatte ich von Bellini erfahren. Aber es schadet nie, mehr über das Ungeheuer und seine Höhle zu wissen, ehe man diese betritt.
Ragusa, sagte er, sei der alte Name der befestigten Stadt auf einer felsigen Halbinsel, und in dem Namen stecke ein altes Wort für »Klippe«. Als vor Jahrhunderten slawische Stämme die Küste erreichten, hätten sie auf dem Festland einen Ort unter Eichen angelegt, und Eiche heiße dubrov oder so ähnlich, und deshalb hätten sie den Ort Dubrovnik genannt. Inzwischen heiße der ganze Ort so, »außer bei uns und bei euch«.
»Und die Republik Ragusa?«
»Ich weiß nicht, wie die bei denen heißt. Das ist ein Stückchen Küste und ein paar Inseln; auf einer wächst übrigens ein guter Wein. Jedenfalls – sie haben sich den Türken unterstellt. Sie haben damals eine Gesandtschaft zum Sultan geschickt und gesagt, sie wollten sich unter seinen Schutz begeben und seien bereit, dafür gut zu zahlen; als Gegenleistung möge er auf Besatzungstruppen verzichten, die ja unter Freunden unnötig seien, und wenn Venedig wieder einmal die Finger nach Ragusa ausstrecke, werde man sich unter seinem wohlwollenden Schutz sicher fühlen.«
»Wißt Ihr, wieviel sie zahlen? Für diesen Schutz?«
»Ich glaube, zwölftausendfünfhundert Golddukaten im Jahr.« Er lachte. »Es heißt, die Gesandtschaft habe sechseinhalb geboten, der Sultan habe zwölfeinhalb verlangt, und insgeheim hätten sie mit fünfundzwanzig gerechnet. Bei zwölfeinhalb haben sie ein bißchen geweint, bis sie Konstantinopel verlassen hatten; dann haben sie ein bißchen gelacht. Sie sind Teil des Osmanischen Reichs; deshalb dürfen ihre Schiffe bis ins Schwarze Meer fahren und überall Handel treiben. Und über Ragusa kann der Sultan jederzeit, auch im Krieg, seinen Westhandel abwickeln.«
Sie seien aber noch gerissener, sagte er später. Wenn Venedig oder der Papst begehrliche Blicke auf Ragusa würfen, winke man dort mit dem türkischen Säbel; und um ganz sicher zu sein, daß die Osmanen nicht doch Truppen in die Republik verlegten, seien dort oft, natürlich rein zufällig, ein paar spanische Kriegsschiffe. »Ihr wißt schon, zum Ausbessern und um Wasser aufzunehmen.«
»Und Eure Ladung?«
Don Pelayo schüttelte den Kopf. »Welche Ladung? Nichts für Ragusa; wir werden dort unsere Vorräte ergänzen und ein paar Briefe aushändigen.«
»Wohin fahrt Ihr, wenn Ihr die Briefe abgegeben habt?«
»Weiter nach Süden.«
»Man könnte meinen«, sagte ich leise, »daß es in Ragusa, eben weil Ost und West dort zusammenkommen, von Spionen und Kundschaftern wimmeln müßte.«
De Gómara hob die Brauen. »Wie kommt Ihr denn auf solch einen absurden Gedanken?«
Ich war natürlich kein Venezianer, sondern Deutscher. Der Kaiser mochte hin und wieder lästig sein, aber er hatte viele andere Anliegen und, anders als die Venezianer, nicht fast zwei Jahrhunderte lang hier die Herrschaft beansprucht. Viele Tage verbrachte ich in der umwallten Stadt, genoß den Wein von der langen Halbinsel Pelješac – Don Pelayo hatte nicht übertrieben – und versuchte, ein Gefühl für die Leute und den Ort zu entwickeln. Die meisten sprachen Italienisch, einige Latein, hier und da hörte ich auch spanische Brocken, Türkisch und sogar Deutsch; es war mir aber bald klar, daß ich Kroatisch würde lernen müssen, um wirklich zu erfassen, was hier geschah und wie die Leute dachten.
Etwa bis zu dieser Stelle habe ich gestern abend bei Wein und dem Licht einer Öllampe dem alten Goran teils erzählt, teils vorgelesen.
»Halt ein«, sagte er plötzlich. »Das geht so nicht.«
»Was meinst du?«
Er ächzte und verschob das Kissen unter seinem Holzbein. »Da fehlt zuviel.«
»Was denn? Mehr über den Abschied von Laura? Eine Zählung der Tränen der Kinder?«
Goran winkte ab. »Das kann man sich denken. Außerdem ist das immer so; also muß man es nicht berichten.«
»Soll ich das streichen, was ich darüber geschrieben habe?«
»Nein, nein. Es ist ...« Er blickte an mir vorbei, auf etwas über meinem linken Ohr. Leise, fast ergriffen sagte er: »Es ist ein schöner Abschied. Eine bemerkenswerte Frau.«
»Was hättest du denn gern?«
»Dies und das. Andere wichtige Dinge, die du nicht einfach auslassen darfst.«
Ich goß die Becher voll. »Trinken«, sagte ich. »Soll ich jeden Becher erwähnen oder jeden Mundvoll
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