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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Hund argwöhnisch das Telefon im Auge behielt.
    Rette mich, dachte Arkadi. Rette mich vor mir selbst.
     
    Die Lösung des Rätsels war, daß Stas seinen täglichen Nahrungsbedarf beim Frühstück deckte: Leber, Räucherlachs, Kartoffelsalat und kannenweise Kaffee. Außerdem besaß er den Videorecorder und den übergroßen Fernseher eines Junggesellen.
    Die Fernbedienung in der Hand, spielte Arkadi das Videoband noch einmal ab. Bei schnellem Vorlauf huschten Mönche, Marienplatz, Biergarten, Straßenverkehr, Hofbräuhaus, Schwäne, Opernhaus, Oktoberfest, Alpen und abermals der Biergarten über den Schirm. Stop. Er ließ das Band zurücklaufen bis zum Anfang der letzten Szene. Wieder sah er den im Sonnenlicht liegenden Garten vor einer von Bienen umschwärmten Geißblatthecke. Sämtliche Gäste saßen, offensichtlich von den Anstrengungen eines schweren Mahls erschöpft, an einem einzigen Tisch - bis auf die Frau. Er hielt das Bild an, als sie ihr Glas hob.
    »Nie vorher gesehen«, sagte Stas. »Was mich wundert, ist, daß ich noch nie in diesem Biergarten gewesen bin. Ich dachte, ich würde sie alle kennen.«
    Der Schirm belebte sich wieder. Die Frau hob ihr Glas höher. Eine blonde, fast wilde Haarmähne, ein goldenes Halsband auf schwarzem Kaschmir, die katzenäugige Sonnenbrille, rote Fingernägel und Lippen, die auf russisch sagten: »Ich liebe dich«.
    Stas schüttelte den Kopf. »Ich würde mich an sie erinnern.«
    »Nicht bei Radio Liberty?« fragte Arkadi. »Kaum.«
    »Aus Tommys Bekanntschaft?«
    »Möglich. Aber ich bin ihr nie begegnet.«
    Arkadi versuchte, einer anderen Spur zu folgen. »Ich würde gern sehen, wo Tommy gearbeitet hat.«
    »Das Rote Archiv? Wenn ich noch mal versuche, Sie einzuschleusen, werden die Wachen Michael verständigen. Ich habe zwar nichts dagegen, ihn zu ärgern, aber er wird die Leute schlicht anweisen, Ihnen keinen Besucher-Ausweis zu geben.«
    »Ist Michael ständig im Sender?«
    »Nein. Zwischen elf und zwölf spielt er im Club auf der anderen Straßenseite Tennis. Aber er nimmt sein Telefon überall mit hin.«
    »Sind Sie im Sender?«
    »Ich bin bis heute mittag an meinem Schreibtisch. Ich bin Redakteur und zerlege den Aufstieg und Fall der Sowjetunion in appetitliche Worthäppchen.«
     
    Als Stas gegangen war, brachte Arkadi die Couch wieder in Ordnung, wusch das Geschirr ab und bügelte die Kleidungsstücke, die Federow in seine Reisetasche gestopft hatte. Arkadis Handgelenk war gezeichnet von den Abdrücken, die Laikas Zähne dort hinterlassen hatten, aber die Haut war nicht verletzt. Stas hatte die Male gesehen und nichts gesagt. Das Tier folgte jedem Schritt Arkadis mit den Augen, vom Sofa zum Ausguß, zum Bügelbrett. Bisher hatte sie nichts einzuwenden gehabt.
    Während er bügelte, spielte er das Band noch einmal ab. Als die Kamera schwenkte, bemerkte er, daß er vielleicht gar keinen Biergarten, sondern die Terrasse eines Restaurants vor sich sah. Die Tische waren wie in einem Speisesaal gedeckt, aber das Licht draußen war zu stark, als daß er durch die Fenster hätte blicken können.
    Was wußte er von der Frau? Vielleicht war sie einst eine Moskauer Putana namens Rita gewesen. Heute war sie womöglich die reisefreudige Frau Benz. Der einzig greifbare Beweis für ihre Existenz war dieses Band. Ihm fiel auf, daß ihr Tisch für zwei gedeckt war. Sie verfügte über eine fast theatralische Präsenz. Das goldene Halsband war sicher deutschen Ursprungs, doch ihre Gesichtszüge waren ausgesprochen russisch. Das dicke Make-up - ebenfalls eher russisch. Er wünschte, daß sie einmal ihre Sonnenbrille abnähme. Langsam rundeten sich ihre Lippen und sagten zu Rudi Rosen: »Ich liebe dich.«
    Laika winselte, ging zum Fernseher und ließ sich nieder.
    Arkadi ließ das Band zurücklaufen und sah sich die Bilder einzeln an. Zurück zu der Szene mit der Sonnenbrille. Weiter zurück zum Tisch. Die übrigen Gäste. Weinranken und Bienen. Rollwagen mit Tischwäsche, Bestecken, Wasserkaraffen. Stuckwerk. Geißblatt. Das Fenster mit einer Scheibe, in der sich die Person mit der Kamera spiegelte. Das war eine weitere Frage: Wer hat den Film aufgenommen? Ein Mann mit auffallend breiten Schultern in einem kanariengelben Pullover, der sich hell vor einer festen Wand aus Bäumen abzeichnete. Wirkliche Bäume diesmal, keine Holzattrappen. Arkadi erinnerte sich, wie Borja gesagt hatte: »Der Trainer, Polly. Der Trainer.«
    Start. Schmetterlinge flatterten durch das Sonnenlicht. Bienen

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