Das Labyrinth
Geräusch aus einer leeren Flasche kam, die keine zehn Meter entfernt stand. Chattanooga Choo-Choo - das war es, was sie summte. Ein Klassiker. Oder war überhaupt niemand da? Denn plötzlich war es wieder still. Während Arkadi darauf wartete, daß sie von neuem begann, versuchte er, sich eine Zigarette anzuzünden, doch das Streichholz erlosch sofort, und die Zigarette zerkrümelte zu feuchtem Papier und Tabak. Wie stark war der Regen? Er hörte sie aus einer neuen Richtung, gerade vor sich und höher, fast auf gleicher Ebene mit den Lampen. Ihre Stimme wurde leiser und verstummte, dann hörte er das Schnellen eines Sprungbretts. Ein weißes Aufspritzen im Dampf und das satte Geräusch, das ein menschlicher Körper beim glatten Eintauchen ins Wasser erzeugt.
Arkadi widerstand der Versuchung, einem, wie er meinte, in jedem Stadium ungewöhnlichen Sprung Beifall zu klatschen: die Leiter zu finden, die Sprossen, ohne etwas zu sehen, hochzuklettern, über das hohe Sprungbrett zu gehen und das Gleichgewicht zu halten, das Ende des Brettes mit den Zehen zu ertasten, sich vom federnden Brett abzustoßen, um fortzufliegen ins . Nichts. Er erwartete, sie auftauchen zu hören. Er stellte sie sich als geübte Schwimmerin vor, als jemanden, der das Wasser mit langen, fließenden Zügen durchpflügte. Doch hörte er nichts als das ständige Trommeln des Regens und das unregelmäßige, fern von der Uferstraße zu ihm dringende Rauschen des Verkehrs.
»Hallo«, rief Arkadi. Er ging am Beckenrand entlang.
»Hallo.«
Die übrigen Gäste der Traumbar des Kasan-Bahnhofs trugen Koffer, Reisetaschen, Kartons und Plastikbeutel, so kam sich Arkadi mit Jaaks Radio absolut nicht fehl am Platz vor. Juljas Mutter war eine stämmige Bäuerin, mit den abgelegten Sachen bekleidet, die ihr im Laufe der Jahre von einer eleganten, langbeinigen Tochter geschickt worden waren: einem Mantel aus Kaninchenfell, einem Jeansrock und Nylonstrümpfen. Sie aß Würstchen mit Bier, während Arkadi Tee bestellte. Jaak war eine halbe Stunde zu spät.
»Julja kann ihre eigene Mutter nicht vom Zug abholen. Sie kann nicht mal Jaak schicken. Oh, nein. Sie schickt einen Fremden.« Sie musterte Arkadi. Sein Jackett roch wie nasse Wäsche und beulte sich um den Revolver in seiner Tasche.
»Sie sehen mir nicht wie ein Schwede aus.«
»Sie haben einen guten Blick.«
»Sie braucht meine Erlaubnis, um auszureisen, wissen Sie. Das ist der einzige Grund, weshalb ich hier bin. Aber die Prinzessin ist sich zu gut, um selbst zum Zug zu kommen. Und jetzt müssen wir warten?«
»Ich bestelle Ihnen noch ein Würstchen.«
»Sehr großzügig.«
Sie warteten weitere dreißig Minuten, bevor er mit ihr nach draußen ging und sich in die Taxischlange einreihte. Wolken dämpften die Lichter auf den Türmen der beiden anderen Bahnhöfe am Komsomol-Platz. Taxis verlangsamten ihre Fahrt, als sie sich der Schlange näherten. Die Fahrer schätzten ihre Aussichten ab und fuhren weiter.
»Mit der Straßenbahn geht’s vielleicht schneller«, sagte Arkadi.
»Julja hat mir gesagt, im Notfall das hier zu benutzen.« Juljas Mutter hielt eine Packung Rothmans in die Höhe, und ein Privatwagen fuhr vor und hielt neben ihnen an. Sie stieg ein und drehte das Fenster hinunter. »Ich warne Sie. Ich fahre nicht in einem Kaninchenfellmantel zurück. Vielleicht fahre ich überhaupt nicht wieder nach Hause.«
Arkadi kehrte in die Traumbar zurück. Von Jaak war immer noch nichts zu sehen. Er war gewöhnlich nie so unpünktlich.
Der Kasan-Bahnhof war das »Tor zum Osten«. Die Wand des Informationsstandes unter einer moscheenartigen Kuppel wurde von zusammengefalteten Reiseprospekten bedeckt. Ein bronzener Lenin, ausschreitend, die rechte Hand erhoben, sah seltsamerweise wie Gandhi aus. Ein Tadschikenmädchen trug einen hellen Schal über ihrem zu einem Zopf zusammengebundenen Haar und einen grauen Regenmantel über lose sitzenden, bunten Hosen. Goldene Ohrringe umspielten ihren Hals. Alle Gepäckträger waren Tataren. Arkadi erkannte Angehörige der Kasan-Mafia in schwarzen Lederjacken. Sie überwachten ihre Prostituierten, blaßgesichtige russische Mädchen in Jeans. Ein Geschäft in der Ecke nahm Musik auf Kassetten auf. Als Anreiz wurde eine Lambada gespielt. Arkadi kam sich mit dem Radio unter dem Arm plötzlich idiotisch vor. Er war in seine Wohnung gegangen und hatte es eine Stunde lang angestarrt, bevor er sich überwand, es seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Als wäre
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