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Das Lächeln der toten Augen

Titel: Das Lächeln der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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See. Viele starben, doch schließlich trafen sie auf Land. Dort ließen sie sich nieder.«
    »Grönland?«, fragte Trevisan.
    »Ja, Grönland. Sie siedelten dort, doch es heißt in der Legende, dass Igantor, ein mächtiger Zauberer und einstiger Widersacher Uthers, sie verfluchte. Er wünschte ihnen die drei Plagen an den Hals. Das Feuer, die Pestilenz und darüber hinaus erbarmungslose Feinde.«
    »Hört sich ja wirklich blutrünstig an«, sagte Tina.
    »Es geht noch weiter«, sagte Simac. »Nachdem sich die Söhne Uthers an den östlichen Gestaden des Eismeers niedergelassen hatten, war eines Tages ein feuriger Schweif am Himmel zu sehen.«
    »Der Kummerstein, der Vorbote des Unheils«, fügte Trevisan hinzu.
    »Richtig, ein Komet und auch noch im Haus des Drachen, dem Sternbild, das die Söhne Uthers als Haus des Pendragons kannten. Die Sterne dort waren die Geister der Ahnen.«
    »Das sind Geschichten, nichts als Geschichten«, wandte Trevisan ein.
    »Traurige Geschichten, Legenden«, entgegnete Simac. »In jeder Legende steckt ein wahrer Kern.«
    »Das mag sein, aber für mich ist es unfassbar, dass erwachsene Menschen daran glauben.«
    »In der Bibel stehen ebenfalls Geschichten. Sind Sie gläubig, Herr Kommissar?«
    Trevisan zuckte mit den Schultern.
    Jan Simac lächelte. »Auf alle Fälle deutete Garth, der Seher, den Kummerstein als Teil von Igantors Fluch. Und gegen jeden Fluch gibt es ein Mittel, doch dieses Mittel war grausam. Garth verlangte von den drei Brüdern, den Nachfahren Uthers, das Liebste, Reinste und Erhabenste zu opfern, das sie besaßen. Ihre Erstgeborenen.«
    Tina verzog das Gesicht.
    »Ja, so ungefähr müssen die Brüder auch reagiert haben. Sie lehnten die Opferung ab und so brach wenig später das Schicksal über sie herein. Zuerst kam ein großes Feuer über sie und zerstörte ihre Palisaden. Viele starben. Der Rest wurde durch eine unheilbare Krankheit dahingerafft und wer bis dahin noch lebte, der starb durch die Angriffe der Feinde, die nun Morgenluft gewittert hatten, nachdem sich die Zahl von Midirs Gefolgsleuten drastisch verringert hatte.«
    »Und alles nur, weil sie ihre Kinder liebten«, kommentierte Trevisan.
    »Nein, weil sie wider ihren Glauben handelten«, erklärte Simac. »Alle starben. Nur ein kleines Kind, der Sohn Midirs, überlebte. Es wurde der Legende nach auf wundersame Weise durch einen Wolf gerettet. Trotz der Suche nach ihm verlor sich die Spur des Kleinen.«
    »Wahrscheinlich hat der Wolf ihn gefressen«, sagte Trevisan trocken.
    »Das mag wohl so gewesen sein«, erwiderte Simac. »Der Junge hatte übrigens einen Makel oder besser gesagt, ein Zeichen. Er hatte eine Narbe auf der Stirn. Ein Mal in Form eines Sterns.«
    Erneut bellte einer der Hunde. Hastig schauten sie wieder aus dem Fenster.
    »Was geht hier nur vor?«, murmelte Simac.
    Drei Augenpaare suchten gebannt den Waldrand ab. Niemand war zu sehen, aber irgendetwas musste da draußen sein. Die Hunde bellten erneut, doch auch sie wagten es nicht, sich dem Wald zu nähern.
    *
    Der Hagere beobachtete das Haus mit wachen Augen. Sein Blick durchdrang den dunklen Schleier. Sie waren früh gekommen. Er hatte so früh nicht mit ihnen gerechnet.
    Sie waren zu zweit, dennoch musste er handeln, ihm blieb keine Zeit, wenn er den Clan retten wollte. Weiteren Verrat würde er nicht dulden. Was war bloß mit dem Alten los? Erinnerte er sich nicht mehr an die Weissagung? Er hatte doch das Buch damals selbst aus dem Eis befreit. Es war wie ein Wunder gewesen. Das Eis hatte die Seiten konserviert, als wären sie erst gestern geschrieben worden. Die Botschaft darin war klar. Das Schicksal würde sich wiederholen, so lange, bis die Offenbarung von Garth dem Wahrhaftigen erfüllt und die reinen Opfer dargebracht würden.
    Sie hatten das Opfer dargebracht, aber es war nicht rein gewesen. Er hatte es geahnt, er hatte es befürchtet. Sein eigener Sohn trug die Schuld am Niedergang. Doch noch war es nicht zu spät, noch war der Stein auf seinem Weg durch das dunkle All.
    Ein Wagen fuhr an ihm vorbei. Er duckte sich tief hinter das Gebüsch. Der schwarze Golf stand noch immer in der Einfahrt.

37
    Schatten huschten durch die Nacht. Jede Bewegung, jedes Schwingen eines Astes, jedes Schaukeln eines Busches, jedes Wiegen eines Baumes wurde zu einer gespenstischen Erscheinung. Trevisans Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Die Hunde blieben den Rest der Nacht über ruhig, dennoch verließ Trevisan den Platz am Fenster nicht.

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