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Das Lächeln der toten Augen

Titel: Das Lächeln der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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viel mehr ergeben als das, was wir bereits bei der oberflächlichen Untersuchung festgestellt hatten«, murmelte Doktor Mühlbauer. »Der Junge war kerngesund. Keine Verletzungen, außer den bereits diagnostizierten, keine Operationsnarben, keine weiteren Brüche oder ähnliches. Er starb infolge eines Sturzes aus großer Höhe. Trümmerbruch der Schädeldecke, linksseitig, Genickbruch, und offene Fraktur am rechten Bein. Er ist offensichtlich kopfüber in die Tiefe gestürzt.«
    Das schabende Geräusch endete, dann nahm der Obduktionsgehilfe die Schädeldecke ab. Doktor Mühlbauer trat einen Schritt zur Seite.
    »Na also. Da haben wir ja den Beweis«, sagte er, als er sich nach vorne beugte und das Gehirn betrachtete. »Schon alleine der Schädelbruch mit deutlicher Einblutung im Okzipitalbereich hätte den Tod zur Folge gehabt. Dem Jungen war nicht mehr zu helfen. Schauen Sie sich das an, Herr Petermann.«
    Ein lauter Schlag hallte durch den Sezierraum. Erschrocken fuhr Doktor Mühlbauer herum. Dietmar Petermann lag hinter ihm auf dem Boden, alle viere von sich gestreckt. Doktor Mühlbauer und sein Gehilfe streiften ihre blutigen Handschuhe von den Händen und eilten ihm zu Hilfe. Er lag auf dem Rücken, seine geschlossenen Augenlider vibrierten leicht. Sofort hob Doktor Mühlbauer seinen Kopf an und tastete mit flinken Händen den Hinterkopf ab.
    »Keine Platzwunde, scheint auch nichts gebrochen«, sagte er zu seinem Gehilfen. Dann tätschelte er Dietmar Petermann auf die Backe, bis dieser seine Augen wieder öffnete.
    »Was … was ist passiert?«, stammelte Dietmar.
    »Sie sind uns aus den Latschen gekippt, guter Mann«, erwiderte der Pathologe. »Das wird eine schöne Beule geben.«
    Dietmar wollte sich aufrichten, doch Doktor Mühlbauer hinderte ihn daran. »Das lassen wir mal schön bleiben«, sagte er. »Wissen Sie, wo Sie sind?«
    »Ja, natürlich.«
    »So, wo denn?«
    »In der Gerichtsmedizin«, antwortete Dietmar Petermann wie selbstverständlich.
    »Gut, keine Anzeichen einer Amnesie«, entgegnete der Arzt. »Aber trotzdem bleiben Sie erst einmal so liegen. Wir legen Sie auf eine Trage. Ich will mir noch einmal Ihren Hinterkopf ansehen.« Mit einer eindeutigen Geste forderte er seinen Gehilfen auf, die rollfähige Krankenliege aus der Ecke zu holen. »Ist Ihnen noch immer schlecht?«, fragte er den Kriminalbeamten.
    »Ich weiß nicht«, entgegnete Dietmar. »Mir ist schon etwas komisch im Magen. Ich verstehe gar nicht, wie mir das passieren konnte. Ich habe doch schon unzählige Tote …«
    »Haben Sie diese Symptome beim Anblick von Leichen in der letzten Zeit öfters?«
    Dietmar überlegte einen Augenblick, dann nickte er.
    »Und früher hat Ihnen so etwas nichts ausgemacht?«
    Wiederum nickte Dietmar.
    »Dann sollten Sie sich schnellstmöglichst in Behandlung begeben. Das klingt mir ganz nach einer aufkeimenden Störung psychosomatischer Natur.«
    Dietmar versuchte ein Lächeln, doch es misslang. »Ich arbeite doch schon seit Jahren bei der Kripo«, erwiderte er.
    »Es ist nicht ungewöhnlich, dass nach einiger Zeit normale und gewohnte Dinge, wie zum Beispiel der Anblick von Blut, zu einer solchen Erkrankung führen. Suchen Sie sich schnellstens Hilfe. Ein Psychologe ist in solchen Sachen geschult, glauben Sie mir ruhig. Ich habe da meine Erfahrungen«, versicherte der Pathologe eindringlich. Dann half er Dietmar auf die Liege.
    Nachdem er Dietmars Beule mit einer übel riechenden Salbe versorgt und einen Verband um den Kopf des Kriminalbeamten gebunden hatte, warf er dem Verletzten einen strengen Blick zu. »Denken Sie an meinen Rat und nehmen Sie die Sache nicht auf die leichte Schulter.«
    Eine halbe Stunde später verließ Dietmar Petermann die Rechtsmedizin. Die Obduktion hatte keine Neuigkeiten ergeben und die Auswertung der Blutprobe würde noch ein paar Tage auf sich warten lassen.
    *
    Große, rotgeweinte Augen schauten misstrauisch aus alabasterfarbenen Gesichtern. Sie saßen schüchtern und verängstigt auf den grün gepolsterten Stühlen. Das Mädchen spielte unruhig mit ihren Fingern, während der Junge apathisch auf Till Schreier starrte, der gegenüber Platz genommen hatte und die beiden Jugendlichen aufmerksam musterte.
    Tina hatte versucht, ihnen den Tod ihres Freundes Mike Landers so schonend wie möglich beizubringen. Sie hatte von einem tragischen Unglück gesprochen. Dennoch waren beide in sich zusammengesunken, hatten hemmungslos geschluchzt und geweint. Der Junge ebenso wie das

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