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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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Erfolg rechnen würde. Man konnte denken, dass der Misserfolg das war, worauf es ihm eigentlich ankam.
    »Ja«, sagte ich. »Für manche ist es das wohl.«
    »Was ist?«, fragte Viktor. »Hast du auf ein anderes Pferd gesetzt? Hast du selbst Ambitionen? Wer sollte es wohl sonst sein?«
    Ich kniff die Augen zusammen, und als ich das tat, konnte ich kleine Bruchstücke der Zukunft sehen – Alexander, wie er im Kreml alle Fenster aufriss, wie er den Sicherheitsapparat auflöste, während die Menschen auf den Straßen jubelten –, die ich alle, wenn sie denn wahr wurden, nicht miterleben würde. »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich weiß es wirklich nicht.«
    Am Eingang steckte Viktor dem Türsteher ein Bündel Scheine zu. Das war vorab telefonisch so abgesprochen. Der Türsteher musterte amüsiert mein durchscheinendes Gewand, nahm das Geld aber an. Er ließ uns ein. Drinnen war die Musik so laut, dass es in meiner Brust vibrierte. Das Aquarium war, wie sich herausstellte, in die Wand und einen Teil der Decke eingebaut. Wässriges Licht flutete durch es hindurch auf die Tanzfläche, und wenn ein Fisch dicht an der Scheibe vorüberschwamm, sprenkelten die psychedelischen Farben tropischen Meeresgetiers den Boden. Der Türsteher zeigte auf eine geschwungene Treppe an der Rückwand des Raumes. »Er ist da oben«, sagte er. »Er ist immer da oben.«
    In der Luft überschrien sich die widerstreitenden Botschaften ausgefallener Deodorants; Werbespots mit Alpenlandschaften undWildbächen tauchten vor meinem inneren Auge auf. Der Boden war mit einer undefinierbaren Substanz überzogen, die farblich an Blei und in ihrer Konsistenz an Schlick erinnerte. An der Bar schoben sich Cocktails in Technicolor durch eine dichte Nebelwand. Das ganze Ensemble wirkte, als sei der Moderne die Sicherung durchgebrannt, wie der ambitionierteste Club des Weltalls, obwohl es hier und da barockere Ecken gab: Die geschwungene Treppe und die schweren samtenen Tapeten an der Rückwand wirkten auf mich, als müssten oben hinter den Balustraden Opernbesucher sitzen, die entsetzt durch ihre Lorgnetten das nackte Treiben verfolgten. In der Mitte des Raumes tanzten Frauen in riesigen durchsichtigen Würfeln. Es lief »SexyBack«. Die Mädchen krochen an den Seitenwänden hoch und leckten die Scheiben. Sie trugen silberne Brustwarzenschoner, schimmernde Ganzkörperfarbe und, soweit man sehen konnte, sonst nichts. Boris starrte sie an, doch Viktor zog ihn weiter.
    »Ein andermal«, sagte Viktor.
    »In der neuen Weltordnung?«, fragte ich.
    Unser Soldat, Valentin Gogunow, saß oben in einer der VIP-Logen. Wie Viktor vorhergesagt hatte, sah er durch einen Einwegspiegel den Mädchen zu, während er seinen schillernden Cocktail trank. Als wir die Tür hinter uns schlossen, verkorkte Stille den Raum. Wir warteten. Unter unseren Füßen waren die Vibrationen des Popsongs zu spüren, aber hören konnten wir nichts mehr. Gogunow saß lange mit einem Finger im Mund stumm da und ignorierte uns, bis vermutlich Justin Timberlakes verzerrtes Gestammel verklungen war und die Mädchen aufhörten zu tanzen. Dann begann er zu sprechen. »So«, sagte er, ohne uns anzusehen. »Ihr seid also Besetows Gang.« Eine Frau in einem pinkfarbenen Fetzen tanzte um einen finsteren Leibwächter herum. »Wie wär’s, wenn du uns ein paar Drinks besorgst«, sagte Gogunow zu ihr. Sie machte einen Schmollmund und verschwand.
    »Die Gang«, sagte Viktor. »Ja, das könnte man sagen.«
    »Eine ziemlich buntgemischte Truppe, oder?«, sagte Gogunowund drehte sich auf seinem Stuhl zu uns um. Irgendetwas an seinem Verhalten wirkte wie einstudiert, und das war mir nicht unsympathisch. Das war mal ein Drogendealer, der sich wirklich bemühte, einen guten Eindruck zu hinterlassen, und so etwas sieht man nicht alle Tage. »Ihr seht aus wie Doktoranden«, sagte er. Viktor zuckte zusammen.
    »Gefällt euch eins der Mädchen da draußen?«, fragte Gogunow ihn. »Ich könnte sie hochschicken lassen.«
    »Jetzt gerade nicht«, sagte Viktor. »Wir würden gern erst filmen.«
    Gogunow musterte mich. »Was hat es mit der Amerikanerin auf sich?«
    Mir war nicht ganz klar, woher er wusste, dass ich eine Amerikanerin war, bevor ich den Mund aufgemacht hatte.
    Viktor sah mich an. »Was hat es mit dir auf sich, Amerikanerin?«
    »Herr Besetow hat mich eingestellt«, sagte ich. »Ich korrigiere die englischen Untertitel.«
    Gogunow betrachtete mich einen Moment und wandte sich wieder an Viktor. »Vögelt er

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