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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Gleichgültigkeit gediehene Erschöpfung der breiten Volksmassen verwich nach und nach wie ein Fieber, das langsam abebbt.
    Mein Freund Georg verkaufte schon hin und wieder ein Ölbild, und auch ich hatte mein Auskommen als freier Schriftsteller.
    »Nein, ich will absolut nichts mehr wissen von dem ganzen politischen Mist«, wehrte sich der Arbeiter, der mit mir den Hitlerputsch miterlebt hatte. »Mir ist alles wurscht jetzt! … Ja! Ja, wir haben eine Revolution machen wollen, hm, und was ist draus geworden – diese Republik! Jetzt ist der Ebert gestorben, und der kaiserliche Feldmarschall Hindenburg ist Reichspräsident! Den Bock haben sie zum Gärtner gemacht! Allmächtiger Strohsack! … Was ist da noch zu hoffen! … Mensch, Oskar, und dazu war ein Krieg, eine sogenannte Revolution und der ganze Verhau mit der Inflation notwendig! Geändert hat sich nichts, gar nichts! … Mir ist jetzt alles wurscht! Ich weiß wenigstens wieder, wenn ich meinen Wochenlohn krieg’, daß ich mir das Notwendigste kaufen kann … Das ist aber auch alles!«
    Millionen seinesgleichen dachten so – und handelten danach.
    Ruhigere Jahre hatten begonnen. Die einzigen, die noch eine Zeitlang unzufrieden waren und verärgert blieben, waren die Bauern. Sie trauerten der Inflation nach, die ihnen soviel gebracht hatte. Es ist eben nicht so leicht, aus einem allzu schnell gewonnenen Reichtum in die Grenzen des natürlichen Bescheidens zurückzumüssen.
    Unsere Mutter brauchte jetzt keine Stoffhausschuhe mehr zu machen. Der Maurus machte mit seiner Konditorei gute Geschäfte, und die Theres konnte sich sogar ein Lehrmädchen nehmen.
    Alljährlich wurde in München die berühmte »Auer Dult« abgehalten, ein bunter Jahrmarkt, der viele Leute anzog: Neben dem gewöhnlichen, billigen Schund gab es dort auch Trödlerbuden, die antike Kunstgegenstände feilhielten. Mancher Sammler entdeckte dort ein verschollenes, unbeachtetes Gemälde eines alten Meisters. Ich schnüffelte gern in diesen Trödlerläden herum.
    Es war ein stiller Werktag im Vorherbst. Nach einigen vergeblichen Versuchen machte ich mich auf den Heimweg. Auf der breiten, mildbesonnten Straße fiel mir irgendein Gesicht in die Augen. Ich stockte, und mein Herz hörte eine Sekunde lang zu schlagen auf.
    »Ja-ja, Oskar? … Du? … Grüß Gott!« sagte das braune, knochige Gesicht mit den ruhigen Augen und lächelte leicht.
    »Mein G0tt, Leni? … Leni!« brachte ich nur heraus. Klein, schmalschultrig stand sie in ihrer schlichten blauen Klostertracht vor mir. Sonst war alles an ihr in den langen Jahren unverändert geblieben wie ein nicht vergilbtes Bild.
    »Hm, hm … Leni?« konnte ich immer nur stottern.
    Da merkte ich, daß sie einen Huscher lang rot wurde.
    »Wie geht’s denn? … Was treibst du denn jetzt?« fragte sie, und ich fragte ähnlicherweise. Immerzu sahen wir einander in die Augen – ich, der Dreißiger, und sie, die Fünfzigjährige. Es schien keine Zeit zwischen uns vergangen zu sein.
    »Mir geht’s soweit ganz gut … Ich bin schon einmal in Afrika bei den armen Negerkindern gewesen. Arg heiß ist’s halt dort, und vor dem Gelben Fieber muß man achtgeben«, erzählte sie. Jetzt erst, da der Klang ihrer Stimme die Befangenheit verscheucht hatte, wagte ich sie genauer anzusehen und so, als wollte ich in diesen kurzen Augenblicken alles zurückrufen, was einst so schön zwischen uns war, sagte ich: »Hm, Leni? … Nicht im geringsten hast du dich verändert! Nicht einmal älter bist du geworden! Wenn du deine Klostertracht nicht anhätt’st, ich könnt’ fast meinen, du kommst von daheim.« Arglos sah sie mich an, und wieder lief ein lächelndes Zucken um ihren schmalen Mund.
    »Tja«, meinte sie, »unser Herrgott läßt mir schon zum Altwerden keine Zeit, Oskar!« Und als sie erfuhr, was ich inzwischen geworden war, und daß es mir nicht mehr schlecht ginge, rief sie fast zärtlich: »Gott sei Dank, da erlebt deine Mutter auch noch was Schönes! … Bist oft daheim?«
    »Jaja«, antwortete ich, »sie sind wieder im Kramerhaus … Die Resl macht ihre Schneiderei, und der Maurus hat eine kleine Konditorei … Leider, die zwei kommen nicht recht gut aus, und da hat die Mutter zu leiden …«
    »Hm«, machte sie nachdenklich, »hm, schad’ … Ich bet’ oft für die Mutter … Sie hat mich ja einmal besucht. Da hab’ ich grad gemeint, ich bin wieder daheim.«
    »Ich wenn mit ihr beisammen bin, mir geht’s genau so, Leni«, gab ich mit

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