Das Leben Mohammeds, des arabischen Propheten (German Edition)
einer Stelle aus dem Koran erhielt er eine schlaue Antwort: »Du kannst für die Heuchler beten oder nicht, wie du willst; aber obschon du siebenzig Mal beten würdest: so wird ihnen doch nicht vergeben werden.«
Demnach wurden die Gebete an Abdallahs Grabe aus Klugheit verrichtet, um die Gunst der Khazraditen und der mächtigen Freunde des Verstorbenen zu gewinnen, und in dieser Beziehung waren die Gebete erfolgreich; denn die meisten Anhänger des Abgeschiedenen wurden Ergebene des Propheten, dessen Oberherrschaft fortan in Medina unbestritten war. In der Folgezeit verkündigte er eine anderweitige Offenbarung, welche ihm das Beten am Todtenbette oder das Stehen am Grabe desjenigen verbot, welcher im Unglauben stürbe.
Aber wiewohl Mohammed über seine Schüler und die Bürgerschaft solche Herrschaft unbegränzt ausübte, so hatte er doch große Mühe, seine Frauen zu regieren und in seinem Harem die Ruhe aufrecht zu erhalten. Mit gnügender Unparteilichkeit scheint er in seinen ehelichen Angelegenheiten gehandelt zu haben, indem er jeder von seinen Frauen eine besondere Wohnung zuwies, deren alleinige Herrin sie war, und vier und zwanzig Stunden bei jeder der Reihe nach zubrachte. Es traf sich nun, daß Hafsa, bei welcher er gerade verweilte, zufällig die Wohnung verließ, um ihren Vater zu besuchen. Da sie unerwartet zurückkehrte, so überraschte sie den Propheten bei seiner bevorzugten und glücklichen Sclavin Mariyah, der Mutter seines Sohnes Ibrahim. Hafsas Eifersucht machte sich in lautem Geschrei Luft. Mohammed suchte sie zu beruhigen, weil er fürchtete, daß das Geschrei derselben den ganzen Harem zur Rebellion aufreizen würde: aber sie war nur durch einen Eid seinerseits zu beruhigen, daß er der Mariyah niemals mehr beiwohnen wollte. Unter diesen Bedingungen vergab sie ihm das Vergangene und versprach Geheimhaltung. Sie brach jedoch das Versprechen und offenbarte Ayescha die Untreue des Propheten, und in kurzer Frist war es durch den Harem bekannt. Jetzt vereinigten sich die Frauen zu einem Sturme mit Vorwürfen, bis er Hafsa, nachdem die Geduld erschöpft war, verstieß und dem Umgange mit den übrigen entsagte. Einen Monat lang lag er allein auf einer Matte in einem abgesonderten Gemache; aber endlich sandte Allah in Erwägung seines einsamen Zustandes das erste und sechste Capitel des Korans hernieder und entband ihn von dem Mariyah betreffenden Eide, welche sogleich die Genossin seines einsamen Zimmers wurde. Die widerspenstigen Frauen wurden jetzt zur Erkenntniß ihres Irrthums gebracht und durch dieselbe Offenbarung belehrt, daß die gewöhnlichen Menschen auferlegten Beschränkungen auf den Propheten keine Anwendung erleiden. Zuletzt nahm er Hafsa, welche bußfertig war, wieder zurück, versöhnte sich mit Ayescha, welche er zärtlich liebte, und nahm alle übrigen in angemessener Zeit zu Gnaden an; doch fortdauernd liebte er Mariyah, denn sie war schön anzuschauen und die Mutter seines einzigen Sohnes.
Fünfunddreißigstes Capitel.
Abu Beker führt die jährliche Pilgerschaft nach Mekka. – Ali’s Sendung zur Verkündigung einer Offenbarung
Der heilige Mond der jährlichen Pilgerfahrt stand jetzt bevor; aber Mohammed war mit öffentlichen und häuslichen Angelegenheiten zu sehr beschäftigt, als daß er sich aus Medina hätte entfernen können. Daher bevollmächtigte er Abu Beker, für ihn als Emir oder Befehlshaber der Pilger, welche von Medina nach Mekka sich zu begeben gedächten, einzutreten. Demgemäß reiste Abu Beker an der Spitze von dreihundert Pilgern mit zwanzig Kameelen zum Opfer ab.
Nicht lange hernach forderte Mohammed seinen Schwiegersohn und ergebenen Jünger Ali zu sich, und indem er ihn auf Al Adha oder das Kameel mit geschlitzten Ohren, das flüchtigste von seinen Kameelen, setzte, drang er in ihn, in der größten Schnelligkeit nach Mekka zu eilen, um dort vor der Menge der aus allen Gegenden zusammengekommenen Pilger eine wichtige Sure, d. i. ein Capitel des Korans, welches er so eben vom Himmel empfangen hätte, zu verkündigen. Ali vollführte mit gewohntem Eifer und Treue die Sendung. Er erreichte die heilige Stadt, da sie sich auf dem Gipfel der großen religiösen Festlichkeit befand. Als am Opfertage mit dem Schlachten der Opferthiere im Thale Mina die Feierlichkeiten der Wallfahrt vollendet waren, und Abu Beker gepredigt und das Volk in den Lehren und Gebräuchen des Islams unterrichtet hatte: so erhob sich Ali vor der ungeheuren, auf dem Hügel Al Akaba
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