Das lebendige Theorem (German Edition)
geflohen ist. Sergiu wurde weltberühmt, als er mit dem phänomenalen griechischen Mathematiker Demetri Christodoulou ein fundamentales Ergebnis der Allgemeinen Relativitätstheorie in einem Beweisfluss von 500 Seiten bewiesen hat. Mit Sergiu spreche ich sehr gern über Mathematik, Politik und Ökologie, alles Themen, bei denen unser Empfinden oft auseinanderstrebt.
Und wenn an unserem Tisch das Gespräch so lebhaft war, dann auch dank Joel Lebowitz, der trotz seiner schon über achtzig Jahre immer vor Energie überströmt. Joel interessiert sich für alles, will alles wissen, und wenn man ihn auf die statistische Physik, sein Lieblingsgebiet, anspricht, ist er nicht zu bremsen.
Joel Lebowitz
Ich nutze Joels Anwesenheit, um ihn zu bitten, Emanuel das Problem des Phasenübergangs bei einem Gas, das aus harten Kugeln besteht, zu erklären. Es ist leicht zu formulieren, fundamental und entzieht sich seit einem halben Jahrhundert der Vorstellungskraft der Physikergemeinde der Statistischen Physik.
Ist es schließlich nicht skandalös, dass man im Jahr 2009 immer noch nicht das Rätsel der Änderung des Aggregatzustands erklären kann: Warum geht eine Flüssigkeit in ein Gas über, wenn man sie erhitzt, warum verwandelt sie sich in einen Festkörper, wenn man sie abkühlt? Wer weiß, ein junger Mensch wie Emanuel könnte eine neue Idee haben …
Nach der Essenspause kommen mir wieder alle laufenden Probleme in den Kopf. Beim Institut Poincaré gibt es immer noch Verwaltungsfragen oder vielmehr die Anbindung an Lyon, die ich gerne beibehalten möchte, wenn ich mein Amt als Leiter ausübe. Im Labor verteidigt meine große Mitstreiterin Alice Guionnet zwar meine Interessen, aber es ist alles so kompliziert … Und ich muss eine Reihe von Seminaren vorbereiten, und vor allem funktioniert die Landau-Dämpfung immer noch nicht! In den letzten zehn Tagen haben Clément und ich zehn neue Versionen unseres Aufsatzes verfasst; die allerletzte trägt die Nummer 36 und umfasst 130 Seiten. Eine Reihe von Fehlern wurde identifiziert und bereinigt, ein sehr lehrreicher Abschnitt von Gegenbeispielen hinzugefügt. Mein Lyoner Kollege Francis Filbet hat uns wunderschöne Bilder der Landau-Dämpfung geliefert, die er mit einem Computer generiert hat. Aber es bleibt noch so viel zu tun! In meinem Kopf läuft eine stille Zusammenfassung ab: Wir müssen die Schätzungen über die Charakteristiken verfeinern und das Supremum in die Norm hineinbringen, uns auf die @!*# Coulomb’schen Wechselwirkungen konzentrieren, überall einen Korrekturindex der Sobolew-Regularität hinzufügen (sieben Indizes, porca miseria!), die Stratifizierung im Exponential entlang des Newton-Schemas beibehalten, die gewaltige Rekursion zum Laufen bringen …
Aber der unermüdliche Joel schleppt mich in eine Arbeitssitzung mit einem anderen französischen Kollegen, und ich fühle, wie sich eine große Hoffnungslosigkeit in mir breitmacht. Es gibt so viele Dinge, auf die ich mich konzentrieren sollte, und seit mehreren Tagen schon arbeite ich bis zwei Uhr morgens … durch die Benommenheit nach dem Essen bin ich kaum in der Lage, meine Gedanken zu ordnen. Es ist zwar unmöglich, zu Joel nein zu sagen, da ich aber sehe, wie sich die Arbeitssitzung hinzieht, verliere ich die Nerven und greife zu einer niederträchtigen List: Ich verabschiede mich, indem ich erkläre, dass ich die Kinder von der Schule abholen muss (wo doch heute ihre Mama dran ist), dann warte ich, dass die beiden Kollegen weggehen, um in einem anderen Saal zu arbeiten, kehre unauffällig in mein Büro zurück, lege mich flach auf den Boden, schlafe ein und lasse mein gemartertes Hirn seine Gedanken wieder in Ordnung bringen.
Kaum wieder erwacht, mache ich mich auch schon an die Arbeit.
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Paul Cohen, junger Kollege und ehrgeiziger Rivale von Nash in Princeton, ist einer der kreativsten Geister des 20. Jahrhunderts. Sein größtes Ruhmesblatt ist die Lösung der Kontinuumshypothese, die auch Problem der Zwischenkardinalzahl genannt wird. Dieses Rätsel, das zu der Liste der 23 von Hilbert im Jahr 1900 genannten Hauptprobleme gehört, wurde in der damaligen Zeit als eines der wichtigsten in der Mathematik betrachtet; seine Lösung hat ihm natürlich die Fields-Medaille eingebracht, im Jahre 1966.
Um die Kontinuumshypothese zu erklären, werden einige Hinweise hilfreich sein. Die Anzahl der ganzen Zahlen (1, 2, 3, 4, …) ist natürlich unendlich. Die der Bruchzahlen (1/2, 3/5, 4/27,
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