Das letzte Kind
Drogen war sie nackt in diesem Fluss.
»Katherine —«
»Lassen Sie mich allein.« Das Lamm lag weich in ihren Händen. »Ich flehe Sie an.«
Hunt zog sich zurück, und sie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel. Sie betrachtete das Lamm: die blanken schwarzen Augen, das Fell, so weiß wie eine Wolke an einem schönen Tag. Sie vergrub das Gesicht in diesem Fell und atmete ein, aber der Duft eines kleinen Mädchens war nicht mehr da. Da war nur der Geruch eines alten Koffers und des Staubs unter einem leeren Bett.
Sie wartete, bis Hunts Wagen abgefahren war, dann stand sie mit gefühllosen Beinen auf und öffnete die Tür. Die Nachtluft war neblig und roch nach grünen Pflanzen. Sie ging quer über die Zufahrt und zum Rand des Grundstücks, zu dem Unkrautgestrüpp, wo sie den Schimmer von Weiß und Orange zuletzt gesehen hatte. Sie brauchte ein paar Minuten, um das Fläschchen Oxycontin zu finden und ins Haus zu tragen. Sie schloss die Tür ab. Mit zitternden Fingern ließ sie die Tabletten herausrollen. Sie nahm vier, legte sie auf die Zunge und schluckte sie trocken hinunter. Dann ging sie in Johnnys Zimmer, umschlang das Lamm mit einem Arm und legte sich auf das Bett. Sie starrte die Fotos an, und zehn lange Minuten ertrug sie den Schmerz. Aber dann kam eine weiche, schwere Hand, drückte sie auf die Matratze und brachte sie dahin, wo sie es ertragen konnte, die Bilder zu berühren, die ihr Sohn so gut und so lange versteckt hatte. Sie konnte die Namen aussprechen, ohne dass es wehtat, und vor ihrem geistigen Auge konnte sie sehen, wie sie sich bewegten.
Hunt fuhr langsam durch die Nachbarschaft und kontrollierte Nebenstraßen und Einfahrten, ohne etwas Ungewöhnliches zu entdecken. In den Häusern war es still und ruhig, und in den Einfahrten standen Pick-ups, Lieferwagen und müde Personenautos. Kein großer Wagen der oberen Mittelklasse mit laufendem Motor. Keine Silhouette hinter den Autofenstern.
Als er wieder in Katherines Straße ankam, suchte er sich seinen Platz sorgfältig aus: weit genug von Haus entfernt, um nicht aufzufallen, und nah genug, um zu sehen, ob jemand zu Besuch kam. Sie wollte keinen Streifenwagen. Okay. Aber er würde sie auf keinen Fall alleinlassen, hier am dunklen Rand der Dinge. Er fuhr an den Straßenrand, drehte das Fenster herunter und stellte den Motor ab. Dann sah er auf die Uhr. Es war spät.
Er kämpfte seine Gewissensbisse nieder, rief seinen Sohn an und bat ihn, das Haus abzuschließen und den Alarm einzuschalten.
»Du kommst heute Nacht nicht nach Hause?«
»Es tut mir leid, Allen. Heute Nacht nicht. Hast du etwas gegessen?«
»Ich hab keinen Hunger.« Hunt sah noch einmal auf die Uhr. Er verfluchte seine Frau dafür, dass sie gegangen war, aber dann dachte er an das, was sein Sohn gesagt hatte. Vielleicht war es wirklich seine Schuld. Er saß ja schon wieder hier statt bei seiner Familie und tat seinen Job. Doch dann hielt er inne.
Es war nicht der Job.
Nicht nur.
Er schaute die Straße hinunter zu Katherines Zufahrt, wo der Kies hinaus auf den warmen Asphalt floss. Er sah Licht zwischen den Bäumen und fragte sich, ob er auch hier wäre und Wache hielte, wenn das Opfer jemand anders wäre. Jemand anders und nicht sie.
»Hör zu, Allen —«
Aber die Verbindung war unterbrochen. Niemand war da.
Hunt klappte das Handy zu und ließ sich tiefer in die Polster sinken. Er wartete auf fremde Autos und auf Ken Holloway. Er dachte an sie, wie sie allein in diesem Haus mit dem durchhängenden Dach war, und als er ein paar Stunden später eindöste, träumte er davon, dass er sie dort herausholte. Sie saßen in seinem Wagen, die Fenster waren offen, und er sah sie, wie sie gewesen war. Ihr Haar flatterte im Wind. Sie legte die Hand an sein Gesicht, sagte seinen Namen, und das Licht verwandelte ihre Augen in klares, reines Wasser. Es war ein guter Traum, aber als Hunt aufwachte, war er verkrampft und unglücklich. Die Sonne stand tief über dem Horizont und schien ihm ins Gesicht, und der Traum war so falsch wie eine optische Täuschung. Sein Handy klingelte.
»Ja.« Hunt rieb sich den Schlaf aus den Augen und richtete sich auf.
»Yoakum hier.«
Die Sonne strahlte gnadenlos herein. Hunt klappte die Blende herunter. »Was gibt's, John?« Er sah auf die Uhr: sieben Uhr einundzwanzig.
»Ich bin draußen bei Burton Jarvis.« Yoakum schwieg kurz, und im Hintergrund war eine Stimme zu hören. Ein Hund bellte zweimal. »Sie müssen herkommen.«
Hunt griff zum
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