Das letzte Vermächtnis der Templer (German Edition)
das Nachtsichtgerät vom Beifahrersitz und stieg aus.
Kühler Wind fegte über die Felder. Irgendwo bellte ein Hund. Mittlerweile war es fast stockdunkel. Nur der abnehmende Mond spendete noch kärgliches Licht. In der Ferne leuchteten die Straßenlaternen von Alsheim.
Im Kofferraum hatte Bianca Mertens ihre Ausrüstung: eine amerikanische Barrett M99. Es war nur eines von einem Dutzend Präzisionsgewehren, die sie mittlerweile ihr Eigen nannte. Jedes einzelne hatte ihr bereits gute Dienste erwiesen, sie trennte sich nur ungern davon. Ihr Mentor hatte sie davor gewarnt, die Waffen allzu lange zu behalten, doch bislang hatte sie keine Schwierigkeiten damit. Im Gegenteil – es beeindruckte ihre Auftraggeber, wenn sie ihnen das ganze Arsenal zeigen konnte; dazu kamen noch mehrere Handfeuerwaffen, eine israelische Uzi und Handgranaten. Waffen törnten Bianca Mertens an, es war ihre Welt, eine Welt der Gewalt und des Todes. Mit Waffen konnte sie alles erreichen. Sie gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit, Sicherheit, die sie in Kindheit und Jugend so sehr vermisst hatte.
Es war Zeit, mit den Vorbereitungen zu beginnen. Rasch zog sie sich eine schwarze Sturmhaube über den Kopf, verbarg ihre langen, rotbraunen Haare. Das Gesicht blieb frei. Dann öffnete sie den Gewehrkoffer und fing an, die Barrett zusammenzusetzen.
Auf dem Gehöft begannen die Vorbereitungen für die bevorstehende Nacht.
Nach dem Abendessen hatte sich Viktoria trotzig in ein Zimmer im Erdgeschoss zurückgezogen. Mittlerweile war sie völlig entnervt. Sie fühlte sich eingesperrt, wie ein Vogel im Käfig. Ihre Eltern waren tot – es kam ihr vor wie ein böser Traum. Dazu war sie in einer völlig fremden Umgebung, an einem Ort, den sie nicht verlassen durfte. Und dann dieser Mann: Tassone, ein Geheimagent des Vatikans, der seltsame Dinge erzählte. Konnte ein Alptraum schlimmer sein?
Sie sehnte sich nach Nähe, nach Wärme. Ihre Schwester war bei ihr, dennoch schien sie unendlich weit entfernt. Sie hatte Viktoria zurechtgewiesen, weil sie wegen des gestrigen Abends genörgelt hatte. Aber was war wirklich dran an den Erzählungen über die Tempelritter und ihre Suche nach den Schätzen des Salomon? Im Geschichtsunterricht hatte Viktoria nichts davon gehört, zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Sie mochte das Fach nicht besonders – lag ihre Abneigung gegenüber Tassone darin begründet?
Eigentlich war er kein schlechter Mensch. Genauso wie dieser junge, gut aussehende Römer, der so offensichtlich mit ihr flirtete. Ein Schmunzeln umspielte Viktorias Lippen, Wärme stieg in ihrem Körper auf. Sie dachte an Martin. Auch er konnte charmant sein. Er war nicht so prollig wie die anderen Typen, die so sehr von sich überzeugt waren. Ein Seufzer entfuhr ihr. Wo er wohl steckte? Langsam ging Viktoria zum Fenster und schaute hinaus. Dunkelheit gähnte ihr entgegen. Es war wie ein Spiegel ihrer Seele.
Niedergeschlagen wandte sie sich wieder ab. Ruhelos wanderte ihr Blick durch das hell erleuchtete Zimmer. Es war schön eingerichtet, dennoch konnte es ihre Verlorenheit, die Leere in ihrem Innern nicht verdrängen. Nach einigen Schritten Richtung Kommode fiel ihr Blick auf ihr Handy. Sie hatte Martin eine SMS geschickt und ihm mitgeteilt, wo sie war. Danach hatte sie ihm noch eine lange sehnsüchtige SMS geschrieben, die er mit nur drei Worten beantwortet hatte: ‚Ich liebe dich.‘ Spontan griff sie nach dem Handy und drückte die Wahlwiederholung – Martins Nummer. Sie presste sich das Gerät ans rechte Ohr und lauschte dem Freizeichen. Es dauerte eine Weile, bis jemand abhob.
„Hallo, Vicky“, tönte es. Es war die Stimme eines Mädchens.
„Bist du’s, Anna?“, fragte Viktoria irritiert.
”Ja”, kam die freudige Erwiderung.
„Wo ist Martin?“
„Der sitzt neben mir“, kicherte sie.
„Was ist los? Wo seid ihr? Sind das Fahrgeräusche?“
„Wir sind gleich bei dir, Süße“, hörte sie Martins Stimme. „Schau mal aus dem Fenster.“
Viktoria glaubte, sich verhört zu haben. Sie stürmte zum Fenster und sah hinaus. Doch aus dem hell erleuchteten Zimmer ließ sich draußen nichts erkennen.
„Heute ist Halloween und gleich kommen die Geister“, flötete Anna ins Handy.
„Ihr seid verrückt“, quietschte Viktoria begeistert.
Lachend rannte sie aus dem Zimmer. Die Gewissheit, Martin zu sehen, trieb ihr Freudentränen in die Augen.
Die Falle schnappte zu. Bianca Mertens hatte sich im richtigen Moment auf die Lauer gelegt.
Weitere Kostenlose Bücher