Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
in Paul vorgegangen war ... aber das interessierte ihn ja
gar nicht ... und sie selbst in diesem Moment auch nicht. „Und Sie?“, wandte
sie sich ihm wieder zu. „Ich?“ Er lächelte, seine Zähne blitzten weiß auf. „Wie
ich zum Fotografieren gekommen bin?“ „Ja. Ich weiß gar nichts über Sie.“ „Was
wollen Sie wissen?“ „Oh, wo Sie aufgewachsen sind, zum Beispiel, wie viele Geschwister Sie haben ...“ „Gut!“ Er
lachte wieder. „Also, ich bin sozusagen unterwegs aufgewachsen.“ „Unterwegs?“
„Ja, meine Eltern stammen beide aus England, aus Northumbria, genauer gesagt.
Das ist eine Region, in der der Himmel nie richtig blau wurde, wegen der
Kokereien! So hat es mir mein Vater beschrieben.“ Er sog die Luft ein. „Ganz
anders als hier. Dort hätte man wahrscheinlich keine Sterne gesehen.“
Er bemerkte einen Glanz
in ihren Augen und redete rasch weiter. „Na ja, in der Gegend wurde Stahl
produziert, und es wurde Kohle gefördert, Eisenerz ... und mein Vater hatte den
richtigen Beruf. Er war Bergbauingenieur. Er hätte wahrscheinlich sein ganzes
Leben dort verbringen können und hätte es auch zu einem gewissen Wohlstand
gebracht, aber er war eine unruhige Seele ...“ Er musste lächeln. „... und so
hat er das Angebot einer Firma angenommen, die in Australien nach Bodenschätzen
suchte. Und meine Mutter ging mit. Erst widerwillig, wie sie selbst sagte, aber
ohne meinen Vater wollte sie nicht leben. Und ihn hielt es nicht mehr in
England.“
Sie hatte das Kinn auf
ihre Hand gestützt und ihn betrachtet, während er erzählte. Sie mochte seine
raue, warme Stimme. „Und weiter?“ „Weiter? Sie sind neugierig!“ „Manchmal ...“
Was rede ich!, dachte sie erschreckt, schob aber sofort ihr schlechtes Gewissen
beiseite. Sie konnte sich doch mit einem Gast unterhalten, oder? Robert fuhr
sich durchs Haar, und ihr fiel auf, dass sie ihn dabei beobachtete ... „Gut,
wenn Sie es wirklich wissen wollen?“ „Ja!“ Er erzählte ihr, dass er als Erstes
von drei Kindern geboren wurde und dass sein Vater ihn oft auf seine Reisen ins
Landesinnere mitgenommen hatte. Diese Reisen hatten ihn begeistert, und er
hatte gewusst, dass er dieses Land erkunden wollte. Dann war der Krieg
gekommen, und er hatte sich freiwillig gemeldet. „Ich glaube, ich habe gedacht,
ich bin es diesem Land hier schuldig. Ich wollte der Welt zeigen, dass wir
bereit sind, für die Freiheit aller Menschen einzutreten.“ Er brach ab und
schüttelte den Kopf. Doch schnell fasste er sich wieder, erzählte, wie er nach
dem Krieg in England und dann in Frankreich gewesen war und wie er sich dort
mit einem Reporter angefreundet hatte. Der hatte in ihm die Neugier aufs
Fotografieren geweckt und ihm seine alte Kamera für wenig Geld überlassen.
„Tja, und seitdem ziehe ich durchs Land und mache Bilder.“ „Und was ist mit
Ihren Geschwistern und Ihren Eltern?“ „Tot“, sagte er rasch, „alle tot.“ „Das
tut mir Leid.“ „Sie können ja nichts dafür.“ „Und Sie haben kein Haus, keine
Frau ...“ „Nein.“ „Nur ihre Bilder
...“
So hatte ihm das noch
niemand gesagt. Aber sie hatte Recht, oder? Die Fotos waren seine Begleiter,
Erinnerungen, die ihm niemand nehmen konnte. Er nickte. „Nur meine Bilder, ja.“
Sie schwiegen eine
Weile. Emma dachte an ihre Brüder und daran, dass auch sie allein war ... „Sind
Sie glücklich?“, fragte er plötzlich. Glücklich? Sie sah hinauf in den Nachthimmel.
Wie hell die Milchstraße leuchtete! Er wagte Fragen zu stellen, die sie sich
bisher immer verboten hatte. „Entschuldigen Sie“, sagte er und schob seinen
Stuhl zurück. „Ich glaube, ich sollte mich für heute verabschieden.“ „Nein!“,
sagte sie, und ihre Stimme klang flehender als beabsichtigt. „Bitte, bleiben
Sie noch! Ich habe so selten Gesellschaft.“ Er durfte jetzt nicht gehen! Sie
wollte nicht zurück in dieses Haus, nicht neben Paul schlafen, sich Gedanken
über seine Stimmungen und Gedanken machen – und darüber, was er ihr
verschwieg. Er setzte sich wieder. „Und? Sind Sie glücklich?“, wiederholte er
nach einer Weile. Diesmal antwortete sie. „Ich weiß nicht, ist Glück denn so
wichtig?“ „Ich denke, schon.“ Lag ihr eigenes Glück nicht darin, andere glücklich
zu machen? Ihr ganzes Leben lang, schon von klein auf hatte man ihr das
vermittelt. Tu Gutes ... „Und
Sie?“ Sie sah ihn an. Seine Augen blitzten im Licht der
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