Das Leuchten
setzte seine Fahrt nach unten fort. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht husten zu müssen. Diesen Triumph wollte ich Shade nicht gönnen.
Grinsend sah er mich an, als wüsste er genau, was in mir vorging. »Kleiner, ich gebe dir eine Chance. Eine einzige.« Die Schiebetüren gingen auf. »Noch ein Wort über mic h – und ich bringe dich um.«
Er trat nach draußen und war im nächsten Moment in der Dunkelheit verschwunden.
17
Noch immer aufgewühlt von der Begegnung mit Shade, raste ich mit dem Nanoboot zur Wasseroberfläche und brach durch die Wellen. Wieso hatte er mich laufen lassen? Und nicht getötet? Bestimmt nicht, weil er Mitleid mit mir hatte.
Nein, es musste einen anderen Grund geben. Aber ich wusste nicht, welchen.
Als sich die Gischt gelegt hatte, sah ich Gemma am Anlegering stehen, zu ihren Füßen eine große Reisetasche. Sie hatte mir den Rücken zugewandt und stieg aus der fleckigen, ausgebeulten Hose, die sie daraufhin durch eine offen stehende Tür in den Aufenthaltsraum für Besucher warf.
Ich steuerte das Boot an einen freien Liegeplatz, ein paar Anlegestellen entfernt, und stieß die Luke auf. Obwohl es mitten am Nachmittag war, war der Himmel so finster wie in der Abenddämmerung, was mir sehr gelegen kam. Ich streckte das Gesicht den grauen Wolken entgegen und freute mich, als ich die ersten Regentropfen auf der Haut spürte. Wasser, egal in welcher Form, half mir, klar zu denken. Es vertrieb auch das Pochen in meinem Nacken, der mir von Shades festem Griff noch immer wehtat.
Am Wochenende war kein Fischmarkt, das Oberdeck war daher so gut wie menschenlee r – genau so mochte ich es. Nur ein paar Fischer kämpften sich durch den Regenguss.
Als ich mich auf den Sitz des Boots stellte, wurde mir eiskalt. Das lag nicht am Wind, es war vielmehr ein Zeichen von Angst. Aber wovor? Ich suchte das Oberdeck mit den Augen ab. Irgendetwas war anders als sonst, aber ich konnte nicht genau sagen, was.
»Gemma!«, schrie ich. »Hierhe r …« Die nächsten Worte blieben mir im Hals stecken, als ich eine Bewegung wahrnahm. Vor dem grauen Horizont glitt eine dunkle Gestalt auf die Promenade. Die Umrisse waren die eines Menschen, aber mehr war nicht zu erkenne n – wie bei einem Schatten, nur dass keine Sonne schien und auch kein Mensch in der Nähe war, der den Schatten hätte werfen können.
»Ty!« Gemma winkte mir zu und achtete nicht auf die Gestalt über ihr, die immer größer wurde, je näher sie dem Geländer kam. Sie schlug den Jackenkragen hoch, nahm ihre Tasche und lief auf mich zu.
Der geisterhafte Schatten blieb stehen. Ich schnappte nach Luft, als er den Kopf hob und Gemma dabei beobachtete, wie sie wegging. Zwei rot glühende Kohlen schienen dort zu glimmen, wo die Augen sein sollten. Plötzlich erloschen si e – und der Schatten war weg.
»Willst du den anderen Siedlern wirklich sagen, dass Shade kein Albino ist?«, fragte Gemma, als ich ihr berichtet hatte, was in der Zwischenzeit vorgefallen war. Fünfzehn Minuten waren vergangen, seit der unheimliche Schatten verschwunden war. Das Nanoboot sank durch das sonnendurchflutete Wasser dem dunklen Blau der Tiefsee entgegen.
»Sobald wir zu Hause sind.«
»Aber Shade hat gesagt, er würde dich umbringen!«
»Es ist mir egal, was er gesagt hat. Ich werde weder einem Verbrecher gehorchen noch seine Geheimnisse hüten.« In einer Tiefe von ungefähr zwanzig Metern, wohin nur noch die stärksten Sonnenstrahlen drangen, drosselte ich das Tempo und brachte das Boot in eine horizontale Lage. Hier liefen wir nicht mehr Gefahr, auf irgendwelche Taucher oder Fischernetze zu stoßen.
»Aber was ist, wenn er dich verfolgt?«
»Das wäre doch gut. Hier unten sind mehr als zweihundert Anwesen. Wenn Shade alle durchsucht, um mich zu finden, erwischt ihn bestimmt jemand mit der Harpune.«
»Vielleicht wartet er, bis du dich wieder auf der Handelsstation blicken lässt.«
Bei dem Gedanken spürte ich einen Kloß im Hals. »Kann sein. Aber wenn die Siedler wissen, dass er kein Albino ist, können sie ihn leichter schnappen. Wenn Shade im Gefängnis sitzt, haben wir noch eine Chance.«
»Du meinst, dann werden deine Eltern hier unten bleiben, und in drei Jahren wirst du deinen eigenen Grund und Boden abstecken können.«
»In zweieinhalb Jahren. Ja, das hoffe ich.«
»Und ich hoffe, dass er von einem Killerwal gefressen wird.«
»Orcas fressen keine Menschen.« Mit der einen Hand steuerte ich das Boot, mit der anderen öffnete ich die
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