Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
wahrscheinlichste Grund für seine Niedergeschlagenheit … Jessica. Ihre Neugier war schlagartig auf dem Höhepunkt.
Leise hüstelnd machte sie ihn auf ihre Anwesenheit aufmerksam.
Sein Kopf fuhr hoch. »Oh, Sue.« Er entdeckte die Mappe unter ihrem Arm. »Der Bericht. Gut. Ich werde ihn durchgehen, bevor ich nächste Woche nach Sydney fliege.« Er war vom NSW Health Department über eine Konferenz informiert worden, die alle zwei Jahre stattfand, und es wurde erwartet, dass er daran teilnahm.
Sue legte die Mappe in seinen Eingangskorb und setzte sich ihm gegenüber. »Ist alles in Ordnung, Simon?«, fragte sie in dem fürsorglichen Tonfall, den sie sich schon vor Jahren angewöhnt hatte. »Sie sehen nicht gut aus. Sie haben sich doch nicht etwa einen Bazillus eingefangen? Diese Infektionskrankheiten sind eine der unerfreulichen Nebenerscheinungen des Tourismus – die Bazillen, die die Feriengäste mit sich auf die Insel bringen, treffen die Einheimischen manchmal schwerer als die Touristen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Es geht mir gut.«
Es ging ihm ganz und gar nicht gut! Schon ein paarmal zuvor hatte sie versucht, dass er sich ihr gegenüber öffnete, und war zurückgewiesen worden. Sollte sie es noch einmal versuchen? Doch andererseits hatte sie nicht viel zu verlieren. Sie könnte es auf die subtile Weise versuchen und um den heißen Brei herumreden – oder sie könnte ihn ganz direkt fragen.
»Simon, ich möchte nicht, dass Sie glauben, ich würde mich in Dinge einmischen, die mich nichts angehen, aber ich kenne Sie gut genug, um zu sehen, dass mit Ihnen irgendetwas nicht stimmt. Bitte, seien Sie versichert, dass alles, was Sie mir sagen, die Wände dieses Büros nicht verlassen wird«, versprach sie. Jetzt lag es an ihm.
Es hatte gut getan, mit Nikko zu sprechen, doch er war so weit weg. Simon sah Sue an, er sah sie zum ersten Mal richtig an. Ihr ernster »Ich möchte Ihnen helfen«-Ausdruck verlieh ihrem Gesicht eine besondere Tiefe, eine gewisse Ausstrahlung. Mein Gott, warum war ihm das noch nicht früher aufgefallen? War er blind? Sue Levinski war eine schöne Frau. Der Gedanke überfiel ihn unerwartet, bevor er seine innere Debatte wieder aufnahm. Er hatte ihr nicht mehr vertraut, seit sie diesen Fehler begangen hatte. Aber, mein Gott, es würde so guttun, sich jemandem anzuvertrauen, der zumindest ahnte, was er durchmachte! Er brauch te das, sehr dringend sogar. Also würde er es tun, entschied er spontan.
»Es ist wegen Jessica. Sie stellt mich vor immer neue Probleme. Sie bildet sich Dinge ein, tut etwas, an das sie sich später nicht mehr erinnert … Vielleicht ist es mehr als nur eine Depression. Ich dachte, es könnte eventuell am Valium liegen, aber Nikko sagt, das könne es nicht sein. Es ist verdammt schwer, zu wissen, was ich tun soll. Ich kann nicht die ganze Zeit zu Hause bleiben und auf sie aufpassen.« Er hielt einen Moment inne und dachte darüber nach. »Sie war auf dem Wege der Besserung, Sue. Ich hatte schon geglaubt, dass sie ihren Nervenzusammenbruch überwunden hat und dass sie, wenn meine Zeit hier um ist, wieder normal sein würde, aber …«
»Erzählen Sie mir alles. Vielleicht finden wir beide eine Lösung, mit der Jessica und Ihnen geholfen ist.«
Simon klärte Sue über die merkwürdigen Vorkommnisse auf, von denen Jessica berichtet hatte, seit sie auf die Insel gekommen waren, und auch über ihren Hintergrund – den Großvater, der die letzten Jahre seines Lebens in einer Anstalt verbracht hatte.
»Sie wird paranoid, und ich fürchte, sie bekommt Wahnvorstellungen.«
»Können Sie nicht die Dosis der Antidepressiva erhöhen?«
»Daran habe ich auch schon gedacht, aber wenn sie Wahnvorstellungen hat, wird ihr eine höhere Dosis nicht helfen. Es wäre ein Rückschritt und würde die Paranoia möglicherweise nur unterdrücken, anstatt dass wir herausfinden, warum sich ihr Problem jetzt in eine andere Richtung entwickelt.«
Sue nickte. »Da haben Sie Recht.« Sie dachte an ihr eigenes Familienleben und daran, wie sie versucht hatten, ihrer Mutter bei ihrem Alkoholproblem zu helfen. Letztendlich hatte gar nichts geholfen. »Sie braucht weitere Untersuchungen und wahrscheinlich eine Therapie.«
Seufzend warf Simon den Stift von sich, mit dem er gespielt hatte. »Das heißt, dass wir Norfolk verlassen müssen. Es gibt hier niemanden, der Jessica die Aufmerksamkeit zukommen lassen könnte, die sie benötigt.«
»Das sollten Sie sich gut überlegen – ob sie
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