Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Mutter wird sich freuen.« Doch die Köchin war schon wieder dabei, die Tische abzuwischen. Das heiße Wasser aus dem Eimer dampfte.
Als Liesel auf die Straße trat, drückte graues Licht auf die Dächer Hammaburgs. Irgendwie schaffte es die Luft, nach Regen und Schnee zu riechen. Sie wickelte sich ihren alten Schal um die Schultern und ging die Holztorgasse Richtung Stadtbahn entlang. Es war bereits einiges los. Seit dem das Pulver rationiert worden war, klapperten wieder die alten Karren der Torfstecher in den Straßen, die heiser ihre zuverlässige Ware zwischen den Häuserwänden verkauften. Boten eilten über das Kopfsteinpflaster, mit wichtigen Botschaften in ihren Lederröhren, die sie wie Köcher auf dem Rücken trugen. Polizisten schlenderten seit Monaten nur noch zu zweit, wirkten dabei aber gelangweilt wie eh und je. Studenten bildeten keine Pulks mehr, sondern waren höchstens noch in Vierergruppen unterwegs, die Ranzen ordentlich geschultert, statt sie ständig in die Luft zu werfen und unter Gebrüll wieder aufzufangen. An jeder dritten Straßenecke stand ein prächtig herausgeputzter Rekrutierungsoffizier, ließ die Augen wachsam über die Menge gleiten, mit einem Klemmbrett in der Hand und einem Lächeln im Gesicht. Die Studenten wechselten dann meist auf die andere Seite.
Lange war Liesel nicht mehr im Hafenviertel gewesen und die Veränderungen machten ihr mehr Angst, als sie gedacht hätte. Ja, der Hafen war der Brennpunkt von Hammaburg, aber war sie etwa zuvor blind durch ihre eigene Stadt gelaufen? Zugegeben, sie fuhr eigentlich nur die Strecke von Fulesbotel bis in die Innenstadt zum Hotel Atlantik , aber wann, bei Freyja, waren all diese Veränderungen nur geschehen?
Martialisch qualmende Läufer standen vor allen kaiserlich gesiegelten Gebäuden, zu denen neuerdings sogar ein schlichtes Postamt zu gehören schien. An jeder größeren Kreuzung prangte ein Bild vom wohlwollend grinsenden Ludwig und in den öffentlichen Aushängen hagelte es poetische Lobpreisungen auf den Prinzen.
Liesel war zutiefst verwirrt. Was ging in dieser Stadt vor? Zum ersten Mal merkte sie, welch kleines Rädchen sie darin war. Ein Staubkorn, nicht mehr als ein angehängter Name am Ende einer bedauerlichen Nachricht.
Den Korb fest in den Händen, sah sie einen schwarzen Zeppelin über der Station schweben, als sie auf die Gasse zur Stadtbahn einbog. Ein langes Seil hing von der schwarzen Schwalbe herunter, bis es sich hinter den gemauerten Türmen des Bahnhofs verlor. Jetzt war sie wirklich verunsichert. Die Frau im Schalterhäuschen blätterte in einer Zeitung, als Liesel nach einer Fahrkarte fragte. Sie bezahlte die drei Kupferpfennige aus der Jackentasche. Diese Summe hatte man immer griffbereit.
»Was hat denn die Schwalbe dort über den Gleisen zu suchen?«, fragte sie unwissend. Die alte Dame schaute nicht einmal auf, während sie den Schnodder hochzog.
»Is´ wegen dem Pulver. Mehr weiß ich auch nich´.« Gespräch beendet.
Liesel nahm die Fahrkarte und stieg die Treppen hoch zum Bahnsteig. Oben angekommen schauten viele der Fahrgäste in den Himmel, anstatt auf die Gleise, auf denen eigentlich die nächste Bahn kommen sollte. Stattdessen stand dort bereits ein Zug, doch waren seine Türen verschlossen. Dirigierendes Geschrei erhob sich von der Kanzel. Ein Mann mit Schaffnermütze hangelte bis zum Torso aus der Luke der Lokomotive und brüllte Anweisungen. Das Vibrieren der Gondelmotoren war wie ein dumpfes Kribbeln im Magen. Der Zeppelin senkte sich tiefer. Es dauerte, bis man das Zugseil von oben in eine Vorrichtung dort unten verankert hatte. Dann schienen aber alle Beteiligten zufrieden. Ho-Rufe hallten über den Bahnsteig. Vereinzelter Applaus der Fahrgäste.
Liesel sah sich um. Auch hier war das Gesicht des Kronprinzen allgegenwärtig. Es überdeckte die Plakate für Tanz, Theater oder Konzerte - eine Premiere im legendären Eisenauge - und erstickte sie mit seinem dämlichen Grinsen, so empfand sie es.
Für einen Moment war sie sehr stolz, eine Nachtrose zu sein. Der Duft des zugedeckten Brotes im Korb aber stieg ihr in die Nase. Was war all das wert, wenn ein Mensch nicht länger sein durfte? Ihn ein einfacher Husten seines Lebensfunkens beraubte? Die Götter einfach nur nahmen, ohne jemals zu erklären? Einfach bestimmten. Was, wenn sie wirklich einen Maschinenwinter schickten? Hatten die Götter überhaupt schlagende Herzen? Oder sahen sie nur zu?
Die Hammaburger Stadtbahn würde
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