Das Locken der Sirene (German Edition)
Zach?“
Er betrachtete nachdenklich ihr Gesicht und versuchte sich jede Linie einzuprägen. Wer wusste, wie lange es dauern würde, bis er sie wiedersah? Ihre Augen schimmerten im Licht der Lampe grüngolden. Ja, was wollte er? Er wusste, was er wollte, doch er konnte es nicht laut aussprechen.
Nora neigte den Kopf und lächelte leicht. Sie hob das Glas an die Lippen und trank. Dann ließ sie das Glas langsam sinken. Ihre Lippen glänzten feucht vom Weißwein.
Zach legte eine Hand auf ihren Hals und beugte sich vor. Er küsste sie, und sie schien von diesem Kuss nicht im Mindesten überrascht zu sein. Sie öffnete den Mund, und er schmeckte den Wein auf ihrer Zunge. Der chardonnaygeschwängerte Kuss war berauschender als der Alkohol. Sie erwiderte den Kuss. Langsam, innig und mit einer geradezu atemberaubenden Geschicklichkeit. Sie biss ihn in die Unterlippe, reizte seine Zunge und zog ihn tiefer und schneller in sich hinein. Und dann hörte sie plötzlich auf und zog sich zurück. Sie schlug die Beine übereinander und nahm den Ausdruck ihres Romans vom Tisch.
Atemlos und erregt setzte Zach sich neben sie und rang nach Luft.
Sie blickte ihn von der Seite an und schlug das Buch auf derselben Seite auf. „Was kommt jetzt?“, fragte sie.
Zach schluckte und schaute auf den Bildschirm. „Seite 308“, sagte er, immer noch etwas atemlos. „Wir müssen die Szene etwas einkürzen.“
„Ziemlich geschwollen, hm?“, fragte Nora ohne einen Hauch von Ironie, obwohl er inzwischen wusste, dass bei ihr fast alles eine doppelte Bedeutung hatte.
„Ziemlich. Wir sollten uns wirklich darum kümmern.“
„Ja, Meister!“, sagte sie zackig und blätterte zu der Seite vor. „Ich werde die Szene schleunigst einen Kopf kürzermachen.“ Zach gähnte und schaute auf die kleine Uhr auf seinem Computerbildschirm. Es war 3 Uhr 37 nachts. Er blinzelte und drehte den Kopf in alle Richtungen. Neben ihm hatte Nora sich auf dem Sofa eingerollt und schlief. Zach klappte das Notebook zu und nahm Noras gedruckte Ausgabe des Buches. Er blätterte zur letzten Seite vor – Williams Abschied von Caroline. Er las diese Szene zum ersten Mal.
Meine Caroline
,
wenn du diese Schlussbemerkung liest, kann ich wohl davon ausgehen, dass du unsere Geschichte ein zweites Mal durchlitten hast. Ich vermute, dass ich dich gezwungen habe, alles noch einmal zu durchleben, ist der endgültige Beweis für meinen Sadismus. Als bräuchtest ausgerechnet du noch irgendeinen Beweis dafür
.
Letztlich war ich selbst überrascht, wie leicht es war, dieses Buch über uns zu schreiben. Ich habe erkannt, wie sehr ich dich vermisse, denn durch dein Fehlen ist ein schreckliches Vakuum entstanden. All die Worte flossen aus mir heraus und füllten diese Leere, und für eine kleine Weile warst du wieder bei mir zu Hause. Ich wollte es nicht enden lassen, aber eine Geschichte braucht vermutlich irgendein Ende
.
Es gibt keine Geheimnisse, die ich dir auf dieser letzten Seite enthüllen könnte. Ich habe dich geliebt. Zumindest habe ich es versucht. Und ich bin gescheitert, das allerdings im großen Stil. Verzeih mir, wenn du kannst. Ich werde mich nicht weiter entschuldigen
.
Mit dem Schreiben bin ich nun fertig. Ich könnte jetzt in den Garten gehen und bis zum Abend lesen. Aber es ist nicht mehr dasselbe, wenn dein Kopf nicht auf meinem Knie ruht und du diese unbedachten Bemerkungen über meine Lektüre machst. Ich werde allein fortfahren, Seite um Seite, bis zum Ende. Und wenn der Abend kommt und die Sonne sich dem Rand der Erde nähert, werde ich Ausschau halten. Ich werde nach einer Lücke am Horizont suchen, wie jener Vater vor Tausenden Jahren es getan hat … der Vater, der auf die Heimkehr seines verlorenen Sohnes wartete
.
Ich hoffe, du bist glücklich. Was mich betrifft, nun … ich mache weiter. Wenn du mich irgendwann vermissen solltest, wenn du vermisst, wie wir … Aber nein, manche Dinge sollten am besten nicht aufgeschrieben werden. Du solltest einfach wissen, dass ich dein Zimmer so gelassen habe. Ich weiß, ich habe dich fortgeschickt. Ich weiß, dass es das Richtige war. Aber ich weiß auch, dass vielleicht nicht jede Geschichte enden muss
.
In Lieb,e
dein William
Zach drehte sich um und betrachtete Noras schlafende Gestalt. Sie wirkte so jung, so verletzlich. Sie schlief auf dem Bauch und hatte die Arme unter sich begraben und sah aus wie ein Kind. Was war er doch für ein Narr gewesen! Zuerst hatte er sie wegen seiner Trauer um Grace von
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