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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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enttäuscht. »Meint Ihr nicht, das ist eine famose Idee, wo sich das Bier doch schon auf Eurem mickrigen Scharren wegverkauft wie warme Semmeln?«
    Utz stand reglos und starrte in die Scherben, zwischen denen die Bilder seines Traums verschwammen.
    »Wenn man im großen Stil braut, kann man natürlich ganz andere Preise bieten«, schwatzte Bechtolt noch immer, als höre irgendwer ihm zu. »Und wer billig kauft, der kauft viel, habe ich nicht Recht?«

23
    Sie hatte für Diether und den Großvater zu sorgen. Das war es, was sie sich von früh bis spät vorbeten musste, wenn ihre Glieder schlappzumachen drohten und ihr Kopf sich weigern wollte, die Qual noch länger zu ertragen. Ich war nie zuvor allein, stellte sie, die sich so lange allein gefühlt hatte, verwundert fest. Ein Mensch konnte gar nicht wirklich allein sein, solange er nicht erlebt hatte, wie es war, zu zweit zu sein. Sie hatte zuweilen geglaubt, sich nach etwas zu sehnen, doch die wahre Gewalt von Sehnsucht bekam sie erst jetzt zu spüren, da sie das Ersehnte besessen, in zärtlichen Armen gehalten und wieder verloren hatte.
    Ich muss für Diether und den Großvater sorgen. Mit diesen Worten hatte sie sich aus dem Haus und hinunter auf den Markt getrieben. Mit diesen Worten zwang sie sich, ihre Krüge vom Karren zu laden und auf dem Scharren aufzubauen. Was auf den schmalen Brettern keinen Platz fand, reihte sie davor auf das schlammbedeckte Pflaster. Bisher hatte sie sich immer Mühe gegeben, ihren Stand hübsch und einladend zu gestalten. Jetzt aber lud sie die Waren einfach ab und war zufrieden, wenn sie irgendwo standen.
    Ihr einäugiger Verehrer kam wie jeden Tag, um mit ihr zu scherzen, doch die fidele Bernauerin, die ihm so manchen Schilling wert gewesen war, schien heute eine andere zu sein. So wie er trollten sich auch andere Kunden, die ihre Bierbrauerin nicht wiedererkannten, und schließlich stand Magda im sachten Regen allein. In den letzten Wochen war das Gedränge auf dem Markt täglich dichter geworden. Der große Jahrmarkt zum Heiligkreuztag rückte ebenso näher wie die Erntefeste, und Fernhändler mit bis zum Rand beladenen Wagen strömten in Scharen in die Stadt. Die Masse wogte vor und zurück wie ein Tier mit unzähligen Köpfen. Eine Gans flatterte auf und versuchte, dem Beil ihres Henkers zu entwischen, scheiterte aber an der kläglichen Ungeübtheit der gestutzten Flügel.
    Jäh fühlte Magda sich dem Tier verwandt. Flattern wir nicht genauso ungelenk durch unser Leben?, fragte sie sich. Wir glauben, wir taugten zu Höhenflügen, doch in Wahrheit sind unsere Flügel Stummel, und im Kochtopf sind wir am besten aufgehoben. Voll Häme lachte sie auf. Übst du dich jetzt im Philosophieren, Magda Harzer, Brauerin? Glaubst du, das bisschen Liegen in den Armen eines Gelehrten hat auf deinen Kleingeist abgefärbt?
    Dabei hatte Thomas gar nicht vor ihr philosophiert. Er hatte sie auch nicht mit gelehrter Weisheit eingeschüchtert, sondern sich mit ihr im Gras gerollt und über die verrückte Mannigfaltigkeit des Lebens gelacht, gestaunt, geschwiegen und Unsinn geschwatzt. Sie wusste nicht einmal, ob er noch einen weiteren Namen besaß. Wenn er vom Grauen Kloster fort und in ein anderes ging, hatte sie keine Möglichkeit, ihn jemals wiederzufinden. Die Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu.
    In der Nacht hatte sie versucht, sich zu versichern, dass er die vernichtenden Worte nur so dahingeredet hatte, dass er zurückkommen würde, zu ihr auf den Markt, wie er immer zurückgekommen war. Im Herzen aber wusste sie, dass ihm jedes Wort ernst gewesen war. Er war entschlossen, das Gelübde zu leisten und ihnen beiden diese unmenschliche Qual aufzuerlegen, was auch immer ihn dazu veranlasste. Er würde nicht mehr zu ihr kommen, und wenn sie selbst hinüber zum Grauen Kloster liefe, wäre ihr die Tür dort ebenso verschlossen wie das Tor mit den Lanzenträgern, von dem sie inzwischen wusste, das es den Wohnsitz des Markgrafen schützte. Er würde sie abweisen lassen, wie Lentz sie abgewiesen hatte, als hätte es eine Magda aus Bernau in seinem Leben nie gegeben.
    Wer so trübe Gedanken hegte, verkaufte kein Bier. Reiß dich am Riemen, befahl sich Magda, doch dieses Mal gehorchte sie nicht. Im nächsten Augenblick schreckte ein Geschrei vom anderen Ende des Marktes sie aus ihrer Trance. Der Tumult übertönte das Summen des üblichen Lärms: Männer johlten, Frauen kreischten, und über allem wieherte ein Pferd. Magda blickte auf und entdeckte

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