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Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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Herz des Mädchens. Es wollte Enva auf deren Strohsack betten, doch diese wünschte sich, in die Kräuterkammer gebracht zu werden. Schließlich ruhte sie auf einem Lager aus hastig aufgehäuften Decken unter den Bündeln von getrockneten Kräutern, die von den Dachbalken hingen. Sie hatte die Augenlider geschlossen und atmete schnell und flach.
    Reeva kniete sich neben sie auf den Boden. Jetzt erst, im stärker werdenden Sonnenlicht, erkannte sie, wie fahl das Gesicht der Alten war. Sie hatte viel zu viel Blut verloren und sich trotzdem stark angestrengt; doch nun waren sie zu Hause . Hier hatte sie die Hilfsmittel und die Zeit, Enva wieder gesund zu machen, davon war Reeva überzeugt. Sie streckte die Hand aus und berührte die Greisin vorsichtig an der samtigen Wange, da schlug diese wieder ihr Auge auf und sah das Mädchen an. „Ich werde jetzt deine Verletzung behandeln, Enva“, flüsterte Reeva und zog den Umhang ein wenig zur Seite, dessen Stoff schwarz von getrocknetem Blut war; aber die Alte hielt ihre Hand fest und schüttelte den Kopf.
    „Nein, Reeva … hör mir zu.“ Als Enva sprach, klang es angestrengt und gepresst, doch ihr Blick war ruhig. „Die Männer werden bald hier sein … Sie werden nicht aufgeben, bis sie uns gefunden haben, und es wird ihnen ein Leichtes sein. Bestimmt werden sie Hunde mit sich führen, die mein Blut wittern können. Reeva … ich möchte, dass du fliehst. Geh durch das Wasser des Baches, dann werden sie dich nicht so leicht verfolgen können, und versteck dich im Wald. Ich glaube nicht, dass sie es so sehr auf dich abgesehen haben. Wenn sie mich aufgestöbert haben, werden sie zufrieden sein …“
    „Nein, das werde ich nicht tun!“ In ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung verkrampfte sie ihre Finger um Envas Hand. „Wie kannst du von mir erwarten, dass ich dich hier liegenlasse? Entweder du kannst mit mir kommen, oder ich bleibe eben bei dir. Aber zuallererst werde ich deine Wunde versorgen!“
    „Warte … meine Tochter.“ Die Stimme war nun so leise, dass das Mädchen sein Ohr ganz dicht an Envas Mund halten musste, um alles zu verstehen. „Ich bin sehr müde … Kannst du mir nicht einen Strauß frischer Blumen aus dem Kräutergarten holen? Ich würde so gerne ihren Duft riechen. – Reeva? Geh deinen Weg …“
    Die letzten Worte hörte das Mädchen längst nicht mehr. Schon war es aufgesprungen und in wilder Eile nach draußen gestürzt. Enva wollte frische Blumen, der Duft würde ihr wieder Mut geben, Enva sollte ihren Blumenstrauß bekommen. Dann würde sie zulassen, dass Reeva ihre Wunde verarztete, und sie würde wieder gesund werden. Die Männer sollten nur kommen, irgendwie würde sie es schon schaffen, sich zusammen mit Enva im Wald zu verstecken, notfalls würde sie die Alte eben tragen …
    In ihrer Hast verbrannte sich Reeva die Hände an den Nesseln, die sich zwischen den wuchernden Pflanzen versteckt hatten, aber sie bemerkte es kaum. Die schönsten, die am süßesten duftenden Blumen mussten in Envas Strauß, die ganze Pracht des Gartens wollte sie in die Kräuterkammer bringen, beschloss Reeva, während sie verbissen pflückte. Als sie die Stiele der vielen Pflanzen kaum mehr mit der Hand umfassen konnte, eilte sie ins Haus zurück.
    Es war sehr still im Innern der Hütte. Unwillkürlich verlangsamte Reeva ihre Schritte und trat behutsamer auf; vielleicht schlief Enva ja, dann wollte sie sie auf keinen Fall wecken. Lautlos schlich sie durch die Stube und blieb an der Schwelle zur Kräuterkammer stehen. Die Alte lag den Rücken zur Tür gekehrt da und rührte sich nicht; sie musste tatsächlich eingeschlafen sein. Das Mädchen kehrte in die Stube zurück, suchte nach einer Vase für die Blumen und ging mit dem Strauß darin wieder in die Kräuterkammer. Leise trat es zum Lager der Alten und beugte sich über sie.
    Etwas stimmte nicht. Es war so still, so entsetzlich still, dass Reeva ihre eigenen Atemzüge hörte, aber weiter nichts. Sie streckte ihre freie Hand aus und berührte die Schlafende sacht an der Schulter, drückte sie schließlich fest, schüttelte sie, drehte sie zu sich um.
    Das pechschwarze Auge der Alten schien direkt durch sie hindurch zu sehen.
    Reeva starrte zurück, starrte, starrte auf dieses Gesicht, das auf den aufgeschichteten Decken ruhte und so fremd aussah, so unendlich fremd und grau. Denn das war es: nichts als ein Gesicht, ohne Geist dahinter, ohne Seele, und darum erkannte sie Enva auch nicht wieder. Dieses

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