Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Titel: Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
Vom Netzwerk:
Sprache nicht, hat er gemeint. Ich begriff nichts. Lassen Sie mich durchschauen?«
    »Ich ... äh ... vielleicht ...«
    Sie machte einen großen Bogen um den Stuhl herum und blieb in einiger Entfernung stehen, so daß er sie zum ersten Mal sah. Er wollte schlucken, schaffte es aber nicht. »Habe es vor zwei Jahren gekauft«, flüsterte sie ernst. »Ich habe es einmal anprobiert.«
    Sie hatte die braunen Haare so lange gebürstet, bis sie glänzten, und zum ersten Mal fiel ihm der rötliche Schimmer darin auf. Sie stand ihm gegenüber, hatte aber das Gesicht abgewandt, wie ein Rekrut, der eben eine Rüge wegen seiner schlechten Haltung bekommen hat. Sie zitterte nicht, sondern schien eher wie elektrisiert zu vibrieren, so daß das Auge die Schwingungen kaum erfaßte. Winter hatte das Gefühl, daß ein Fingerschnippen genügte, und der Zauber würde sich in beißenden, blauen Rauch auflösen. Er konnte nicht schlukken. Sie trug nur ein einziges Kleidungsstück, und er hatte keine Ahnung, welche Funktion es hatte. Um ihren Hals lag eine schmale Rüsche aus schwarzer Spitze, ebenso um ihre Handgelenke. Eine dritte Rüsche schwebte in einigem Abstand zu ihren blassen, schlanken Schenkeln um ihre Hüften. Diese drei schwarzen Streifen wurden von einem unfaßbaren Gebilde zusammengehalten, das so zart und körperlos war wie ein Hauch von Ruß auf der Windschutzscheibe. Auf diesem Gespinst saß genau über dem Nabel die Applikation eines aufgedunsenen, entarteten Kaninchengesichts, das boshaft grinste.
    Er schluckte krampfhaft, als müsse er eine Handvoll Reißnägel hinunterwürgen. Einen Sekundenbruchteil lang staunte er über Hoover Hess' unheimlichen Scharfblick. Aber er fühlte sich der Situation nicht gewachsen und stürzte mit einem verzweifelten, schuldbewußten Aufschrei aus dem Appartement und rannte den Korridor entlang zur Treppe. Hinter sich hörte er ihr enttäuschtes Geheul und einen langen, heiseren Schrei: »Du Baastaaard! « Er polterte die Treppe hinunter, als ihr brüllendes Gelächter begann, das sich immer höher und höher schraubte; endlich fiel die schwere Brandschutztür hinter ihm ins Schloß, und es war still.
    Er war schon zwei Häuserblöcke weit gegangen, als er sich sagen hörte: »Um Himmels willen, Wilma!« Erst jetzt bemerkte er, daß er die Worte schon seit geraumer Zeit ständig vor sich hin murmelte. Er hielt noch immer die goldene Uhr in der Hand. Zwei alte Damen starrten ihn mißtrauisch an. Er verlangsamte den Schritt, steckte die Uhr in die Tasche und lächelte die Damen freundlich an. Eine von ihnen erwiderte sein Lächeln. Die andere schob das Kinn in die Höhe, holte tief Luft und schrie mit einer Lautstärke, daß jeder Autofahrer im Umkreis erschrocken das Steuer herumriß: »Haltet den Dieb!«
    In panischem Schrecken stürzte er davon, bog um die nächste Ecke und wurde langsamer. Seine Beine zitterten. Er blieb stehen und starrte in die Auslage eines Buchladens, ohne etwas zu sehen, und wartete, bis sein Atem wieder normal ging. Als er sich schließlich orientierte, bemerkte er, daß ihn nur wenige Straßenzüge vom Hotel Birdline trennten. Plötzlich fielen ihm die Lügen wieder ein, die er im Zusammenhang mit Onkel Omars persönlichen Papieren erzählt hatte. Er war sich damals furchtbar schlau vorgekommen, aber jetzt war er nüchtern, und ihm wurde klar, daß es eine riesige Dummheit gewesen war.
    Er ging zum Birdline. Der Kerl mit den eng zusammenstehenden Augen und der fürchterlichen Akne machte in der Rezeption Dienst. Er steckte den Kopf in das kleine Büro hinter der Telefonzentrale und rief Hoover Hess. Hess kam heraus und rieb sich gequält lächelnd die Hände.
    »Nun, Kirb, sind Sie so weit, daß wir übers Geschäft reden können? Sie werden kein besseres ...«
    »Nicht jetzt, Hoover. Ich habe es eilig. Ich wollte Sie wegen der Sachen fragen, die Sie für mich aufbewahrt haben. Ich werde sie vielleicht ...«
    »Verstehe, ich weiß eine nette Geste zu schätzen, aber ich habe Ihnen gesagt, daß ich die Sachen kostenlos für Sie aufbewahre, solange ich da unten Platz habe, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und ich ändere meine Meinung nicht, nur weil Sie eine große Erbschaft gemacht haben.«
    »Aber ...«
    »Ich will damit sagen, daß ich mich über die fünfzig Mäuse gefreut habe, Kirb. Es war nett von Ihnen, das können Sie mir glauben.«
    »Fünfzig?«
    Hess sah ihn erschrocken an. »War es mehr? Haben sich die Gauner unterwegs etwas unter den Nagel

Weitere Kostenlose Bücher