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Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Titel: Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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aber es ist bei Gott nicht leicht. Es wäre leichter, dich nicht zu lieben, als das ganze Zeug zu glauben. Charla. Was ist das überhaupt für ein Name? Nach diesen drei Frauenzimmern muß es ja eine ausgesprochene Abwechslung für dich gewesen sein, als ich in dein Bett geschlüpft bin.«
    »Was soll ich machen?«
    »Hast du schon einmal einen Kuchen bekommen, in dem eine Säge versteckt war?«
    »Ich habe befürchtet, daß du etwas in der Richtung sagen würdest?«
    »Wenn beide Frauen auf dem Schiff waren, dann hat sie die Küstenwache mittlerweile bestimmt schon. Charla und Joseph sitzen vielleicht genau so tief in der Tinte wie du.«
    »Das bezweifle ich.«
    Er nahm Onkel Omars goldene Uhr aus der Tasche und spielte gedankenlos damit herum. Er zog sie auf, verglich die Zeit mit seiner Armbanduhr und stellte sie richtig. Die Taschenuhr hatte einen Stundenzeiger, einen Minutenzeiger und einen flinken Sekundenzeiger. Daneben gab es noch einen vierten Zeiger. Er war aus Silber, während die anderen Zeiger aus Gold waren, und stand reglos auf zwölf Uhr. Wozu er wohl gut war? Er drückte noch einmal auf die Aufziehwelle und bemerkte plötzlich, daß sich der silberne Zeiger zurückdrehte, wenn er die Schraube gleichzeitig drückte und drehte.
    Im gleichen Augenblick wurde die Welt um ihn still und sein Blick trübte sich. Sein erster Gedanke war, daß er einen Herzinfarkt hatte. Die Stille um ihn war so vollkommen, daß er das Blut in den Ohren rauschen hörte. Ein tiefes, unkontrollierbares Entsetzen hinderte ihn daran, eine Erklärung für den unheimlichen Zustand zu finden. Auf bekannte Gefahren reagiert der Mensch instinktiv mit Angst, die von der Vernunft gesteuert wird. Das Unbekannte hingegen wirft ihn zurück in sein Höhlendasein; säbelzähniges Entsetzen überfällt ihn, ein Schwall von Adrenalin überflutet den Organismus, die Funktion des Schließmuskels wird unzuverlässig, die Muskeln ziehen sich zusammen, bereit zur rettenden Flucht, und mit eingezogenem Kopf stürzt er wimmernd davon.
    Kirby sprang auf, schnappte zitternd nach Luft und riß die Sonnenbrille herunter. Beim Aufspringen fühlte er einen seltsamen Widerstand, als müßte er sich gegen starken Wind stemmen, den er weder spürte noch hörte. Die ganze Welt war bewegungslos. Ohne die Sonnenbrille war seine Umgebung in ein blasses, unangenehmes Rot getaucht. Er hatte einmal durch das Prisma einer einäugigen Spiegelreflexkamera mit vorgesetztem Rotfilter geblickt; das war so ähnlich gewesen. Aber die Kamera hatte ihm die Welt in Bewegung gezeigt. Jetzt befand er sich in einer rosa Wüste, einem wüsten Garten oder in einem Gemälde von Dali, das die Schrecken einer zeitlosen Bewegungslosigkeit veranschaulicht.
    Eine Welle kräuselte sich über die ganze Länge des Strandes, brach aber nicht. Die Möwen aus rosa Stein hingen an unsichtbaren Drähten. Er drehte sich nach dem Mädchen um. Ihr Gesicht hatte eine unangenehme Farbe, und ihre Lippen sahen schwarz aus. Sie war in der Zeitlosigkeit gefangen, hatte die Hand zu einer Geste halb erhoben, den Mund leicht geöffnet und berührte mit der Zunge den Rand eines Schneidezahns. In der gnadenlosen Starre sah sie aus wie ein Leichnam in einem Sarg.
    Er preßte die Augenlider zusammen, öffnete sie wieder. Nichts hatte sich verändert. Er blickte auf die goldene Uhr. Der goldene Sekundenzeiger rührte sich nicht. Er sah auf seine Armbanduhr. Auch sie war stehengeblieben. Er sah noch einmal genau auf die goldene Uhr, konzentrierte sich auf den silbernen Zeiger und bemerkte schließlich, daß er sich ganz langsam bewegte und auf die Zwölf zukroch. Er hielt die Uhr ans Ohr und glaubte einen zarten, anhaltenden Ton zu hören. Er hatte den silbernen Zeiger auf Zehn zurückgestellt. Jetzt stand er auf sieben Minuten vor zwölf. Es war anzunehmen, daß er sich seit drei Minuten in der roten Welt der Stille befand.
    Er probierte zwei Schritte. Wieder spürte er den seltsamen Widerstand, der sich seinem Körper entgegenstellte. Jeder Schuh schien plötzlich zehn Kilo zu wiegen. Er hatte Mühe, sie zu heben, sie durch die Luft vorwärts zu bewegen und wieder auf den Boden zu setzen. Sie waren seltsam schwer und besaßen ein eigenartiges Beharrungsvermögen, als ginge er durch Klebstoff. Der Druck gegen seinen Körper wurde offenbar durch eine ähnliche Trägheit seiner Kleider verursacht. Er bückte sich nach einem weggeworfenen Papierbecher. Der Becher war schwer wie Blei. Gewicht und Widerstand machten

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