Das Mädchen und der Zauberer
war etwas geschehen, was er für unmöglich gehalten hatte und was er immer weit von sich schob, wenn im Freundeskreis die Rede darauf kam: Er hatte sich nicht verliebt – er liebte Jeanette. Das war etwas ganz anderes als Verliebtheit: Es zerriß ihn innerlich fast, wenn er daran dachte, daß Jeanette vielleicht doch nicht so empfand wie er und eines Tages wahr machte, was sie immer androhte: Weitertrampen, zu den anderen Inseln, hinüber nach Panama, auf die andere Seite zum Stillen Ozean und dann durch die Südsee bis nach Neuseeland und Australien und noch weiter bis nach Japan. »Wer will mich aufhalten?« hatte sie gesagt. »Solange ich jung bin, gehört die ganze Welt mir.«
»Und die geplanten sechs Kinder?« hatte Aubin gefragt.
»Mit denen kann ich mit fünfundzwanzig Jahren anfangen, ich bin ja erst zwanzig! In fünf Jahren kann man noch viel sehen.«
Gut, sie hatten gestern die Nacht durchtanzt, sie hatten sich geküßt, aber als er seine Hand auf ihren Busen legte, hatte sie ihm wieder eine heruntergehauen. »In der Sonne liegen und sich malen lassen, ist etwas anderes, als sich betatschen lassen!« zischte sie. »Und ein Kuß verpflichtet mich zu nichts. Ist das klar?!«
So war es auch sinnlos, nach der fröhlichen Nacht mit Jeanette in deren Zimmer bei Madame Laplasse zu schleichen. Sie gab Aubin vor der Haustür einen langen Kuß, drückte ihn dann von sich weg, sagte: »Schlaf den Rest noch gut!« und ließ ihn draußen stehen.
Der nächste Tag brachte wieder Anlaß zu Streitereien. Aubin fuhr mit seinem Mietboot nicht wieder zur Carina II, sondern entgegengesetzt die Küste entlang nach Bellefontaine. »Wo willst du denn hin?« fragte Jeanette ein paarmal, aber Aubin gab keine Antwort. Erst, als er zwischen Bellefontaine und Le Carbet anhielt, dort, wo seit hundert Jahren die bunt bemalten Fischerboote hinausfahren und zwischen sich ihre Netze schleppen, sagte er: »Hier draußen sieht uns keiner. Sag mir jetzt ehrlich, ob du mit Bataille nach Barbados fahren willst.«
»Warum?« fragte sie trotzig. »Warum fragst du wie ein Untersuchungsrichter?«
»Weil ich dich, wenn du ja sagst, hier umbringe!«
Sie rutschte auf der Luftmatratze so weit von ihm weg, wie es möglich war und starrte ihn entgeistert an. »Bist du verrückt?« stammelte sie.
»Ja.«
»Ich schreie um Hilfe!«
»Hier hört dich niemand.«
»Das ist Mord, Jean!«
»Was du tust, ist auch Mord, Jeanette!«
»Was tue ich denn?!«
»Verdammt, ich liebe dich. Und du willst von mir fortlaufen. Das bringt mich um!«
»Sag das noch mal!« Sie zog den Kopf zwischen die schönen Schultern.
»Was?«
»Den ersten Teil des Satzes …«
»Verdammt, ich liebe dich!« schrie Aubin.
»Jetzt habe ich's deutlich genug gehört.« Sie kroch wieder nach vorn, beugte sich zu Aubin herunter und küßte ihn auf die Stirn. »Wie kann man nur so dämlich sein.«
»Ist das eine Antwort?« brummte er.
»Ja.«
»Heißt das, daß auch du mich liebst?«
Sie drehte sich mit Schwung auf den Rücken, streckte die Beine in die Luft und strampelte mit ihnen durch das gleißende Sonnenlicht. »Fahr weiter! Wo willst du denn nun wirklich hin?«
Später lagen sie den ganzen Tag in der kleinen Bucht von Guotony, schwammen und sonnten sich, küßten sich und hatten Sehnsucht nacheinander. Von der Erfüllung hielt sie eine Horde junger Mädchen ab, die am Strand herumtollte und später Lieder zu einer Gitarre sang.
Für den Abend hatten sich Jean und Jeanette einen Besuch in einer Tanzbar mit sogenannten Schönheitstänzen vorgenommen, ein folkloristisches Wort für einen ganz ordinären Striptease. Aber in dem vorgelagerten Restaurant gab es eine ganz vorzügliche kreolische Küche. Calalou, eine fabelhafte Suppe aus Krabben, Tomaten und Gombos, Boudin Créole, eine heiß servierte, pikante Blutwurst, Quassous, das sind die großen, flachen Krebse, die man nur in den Gebirgsbächen von Martinique findet, Chadrons, in ein Omelette eingebackene weiße Seeigel und als Krönung ein Hammelragout mit Colombo, das ist eine duftende Currysoße, wie man sie sonst nirgendwo bekommt. Zum Nachtisch das berühmte Kokosnußeis mit Rum – ein Genuß, um die Augen zu verdrehen.
»Erklär mir mal eins«, sagte Jeanette, als Aubin diese Speisekarte geradezu herbetete, »du bist doch erst vor ein paar Tagen aus Marseille gekommen. Wieso kennst du dich hier so gut aus?«
»Wenn einer eine Reise tut, soll er sich informieren.«
»Auch übers Essen?«
»Das ist für
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