Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
Vom Netzwerk:
und er schwatzten mit Vorliebe auf Holländisch, was sich in meinen Ohren wie eine lustige Halskrankheit anhörte. Mit uns im Boot saßen noch ein paar andere Männer, deren Namen ich nicht kannte. Sie teilten ihre gerösteten Ameisen mit uns, eine beliebte Wegzehrung auf längeren Bootsfahrten. Umgekehrt gaben wir ihnen etwas von unserem Maniokbrot ab, was in Kombination mit den Ameisen sehr lecker schmeckte. Die Chitinpanzer der großen Ameisen knackten schön; wenn man darauf kaute, blieben sie allerdings zwischen den Zähnen hängen.
    Bei einer Pause am Flussufer, die man in der Trockenzeit manchmal einlegen musste, um das Boot ein paar Meter über den Landweg zu schleppen, entdeckten wir plötzlich ein kleineres Kanu auf dem Fluss, direkt oberhalb der Stromschnelle. Unentwegt sprudelten die Wassermassen dort zwischen den Steinen hinab, an manchen Stellen gab es gefährliche Strudel, die alles herumwirbelten und nach unten sogen, was in sie hineingeriet. Gespannt blickten wir auf die Stelle, an der ein junger Mann kerzengerade in seinem Boot stand. Ähnlich wie ein Trapezkünstler, hielt er eine lange Ruderstange in den Händen. Im nächsten Augenblick glitt das Boot in halsbrecherischer Geschwindigkeit die Stromschnelle hinab. Das Kanu schlingerte gefährlich hin und her, es war kaum zu glauben, dass der Mann nicht in die Fluten stürzte. Er balancierte alles aus und ging in die Hocke, um die unsanfte Landung abzufedern. Als das Boot ruhigere Gewässer erreichte, schaukelte es zwar noch gewaltig auf und ab und drehte sich einige Male um die eigene Achse, aber es kenterte nicht. Ich war tief beeindruckt, nur die Ruderstange war über Bord gegangen. Unter lautem Gejohle unserer Bootsmänner glitt das Kanu an uns vorbei.
    War das nicht Inaina gewesen? Bevor ich mir weitere Gedanken darüber machen konnte, entdeckte Jackä schon den nächsten todesmutigen Kanuten an der Stromschnelle. »D a kommt noch einer«, strahlte er, »s chau genau hin!« Das Boot stürzte mit unheimlichem Krachen den Strudel hinab. Durch die Gischt hindurch war zu erkennen, dass der Bootsmann plötzlich verschwand. Ich hielt den Atem an. Endlose Minuten später, das Kanu trieb inzwischen führungslos den Paru entlang, rappelte sich der junge Aparai etwas benommen wieder auf. Offenbar war er während der Schlingerfahrt rückwärts ins Boot gefallen, was ihm möglicherweise das Leben gerettet hat. Wieder Gejohle, diesmal aber etwas verhaltener. Was danach passierte, konnte ich nicht mehr verfolgen, weil die Männer nun unser Boot schulterten, um die gefährliche Passage auf dem Landweg zu umgehen. Ich musste als Einzige nicht aussteigen und blickte von oben auf die starken Schultern der Männer, die unser Boot trugen. Nicht ohne ein paar Witze auf meine Kosten: »P asst nur auf, sie wird sich dran gewöhnen, dass man sie auf Händen trägt.« Einige Male holperte und ruckelte es ganz ordentlich, schließlich war der Weg über Land nicht gerade bequem. Äste und Wurzeln, die zu tückischen Fußschlingen wurden, dazu glitschige Stellen, auf denen man ausrutschen und fallen konnte. Außerdem lauerte allerlei Getier, in das man hineintreten konnte, wenn man nicht aufpasste. Giftschlangen, Skorpione, Spinnen, und im Flachwasser musste man sich sogar vor Stachelrochen und Zitteraalen in Acht nehmen. Letztere teilen unangenehme Stromschläge aus, wenn man ihnen zu nahe kommt. Doch die Aparai waren solche Transporte durchs Wasser und über Land gewohnt, und sie bewegten sich sicher durch das unwegsame Gelände. Dass so ein Einbaumkanu, zumal in beladenem Zustand, tonnenschwer war, schien keinem etwas auszumachen. Toipä, so ist das eben. Kung, man kann’s nicht ändern. Hock, wir machen das Beste draus.
    Endlich berührte unser Bootsrumpf wieder das Wasser. Mein Vater wischte sich den Schweiß mit einem Stofftaschentuch von der Stirn. Er war heilfroh, dass wir es mit dem schweren Kanu ohne irgendwelche Blessuren über Land geschafft hatten. Auch die anderen Männer lachten erleichtert und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Lautlos glitt unser Boot in Richtung Mashipurimo fort.
    »I ch glaube, ich habe Inaina bei einer Mutprobe an der Stromschnelle gesehen«, verkündete ich bei der nächsten passenden Gelegenheit. Großmuter Antonia wurde hellhörig; sie war gerade dabei, frisch geerntete Baumwollflocken zu einem gleichmäßigen Faden zu spinnen. Prüfend betrachtete sie ihren Enkel, doch Inaina sagte kein Wort. Er schien mit den Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher