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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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und von ferne drangen die Rufe der Kinder an sein Ohr, die vor der Hafeneinfahrt tauchten. Er betrachtete die ordentliche Handschrift auf dem dünnen Luftpostpapier und versuchte sich den Mann vorzustellen, der die Briefe ge  schrieben hatte. Und immer wieder las er die Grüße an den Jungen, an sich selbst.
    Er hörte Lyras rasch näher kommenden Schritte schon aus einiger Entfernung. Er steckte die Briefe in die Tasche und stand auf, und schon war Lyra da, mit aufgerissenen Augen und begleitet von Pantalaimon, einer die Zähne fletschenden Wildkatze, zu durcheinander, um sich noch zu verstecken. Lyra, die sonst fast nie weinte, schluchzte vor Wut; ihre Brust hob und senkte sich, sie biss die Zähne zusammen, und sie warf sich an Wills Brust, packte seine Arme und schrie: »Bring ihn um! Bring ihn um! Er soll tot sein! Ich wollte, Iorek wäre hier – ach, Will, ich habe alles falsch gemacht, es tut mir so Leid –«
    »Was? Was ist denn passiert?«
    »Der alte Mann – er ist nur ein hundsgemeiner Dieb – er hat es gestohlen, Will! Er hat mein Alethiometer gestohlen! Dieser stinkende Alte mit seinen feinen Kleidern und dem Diener, der das Auto gefahren hat – ach, ich habe heute Morgen alles falsch gemacht – ach, ich …«
    Und sie schluchzte so heftig, dass er schon dachte, dass Herzen wohl wirklich brechen können und ihres das jetzt tat, denn sie fiel laut jammernd und am ganzen Körper zitternd zu Boden, und Pantalaimon verwandelte sich neben ihr in einen Wolf und heulte vor namenlosem Schmerz.
    Draußen am Wasser hörten die Kinder auf zu spielen, hielten sich die Hände über die Augen und sahen neugierig he  rüber. Will setzte sich neben Lyra und fasste sie an der Schulter.
    »Hör auf!«, sagte er. »Hör auf zu weinen! Erzähl mir alles von Anfang an. Was für ein alter Mann? Was ist passiert?«
    »Du wirst so wütend auf mich sein – ich habe versprochen nichts von dir zu sagen, versprochen habe ich es, und dann …« Sie schluchzte, und Pantalaimon verwandelte sich in einen tapsigen jungen Hund mit hängenden Ohren und wedeln  dem Schwanz, reuevoll an den Boden gedrückt, und Will begriff, dass Lyra sich schämte, ihm zu erzählen, was sie getan hatte, und fragte den Dæmon.
    »Was ist passiert? Sag es mir ruhig.«
    »Wir gingen zu dieser Wissenschaftlerin«, sagte Pantalaimon, »und da war noch jemand da, ein Mann und eine Frau – und sie haben uns reingelegt – sie haben uns viele Fragen gestellt, und dann haben sie nach dir gefragt, und dann war es raus, bevor wir es verhindern konnten, dass wir dich kennen, und dann sind wir weggerannt –«
    Lyra versteckte ihr Gesicht zwischen den Händen und presste die Stirn auf die Fliesen. Pantalaimon verwandelte sich aufgeregt in ein Tier nach dem anderen, einen Hund, einen Vogel, eine Katze, ein schneeweißes Hermelin.
    »Wie sah der Mann aus«, wollte Will wissen.
    »Groß«, hörte er Lyra mit erstickter Stimme sagen, »und furchtbar stark und mit ganz hellen Augen …«
    »Hat er dich durch das Fenster steigen sehen?«
    »Nein, aber …«
    »Dann weiß er doch gar nicht, wo wir sind.«
    »Aber das Alethiometer!«, schrie sie und fuhr hoch, das Gesicht vor Kummer starr wie eine griechische Maske.
    »Ach so«, sagte Will. »Erzähle mir, wie das passiert ist.«
    Unter Schluchzen und Zähneknirschen berichtete sie, was passiert war: wie der Mann sie am Tag zuvor mit dem Alethiometer im Museum gesehen hatte und wie er heute mit dem Wagen angehalten hatte und sie eingestiegen war, um dem Mann mit den hellen Augen zu entkommen, wie er an der rechten Straßenseite angehalten hatte, so dass sie beim Aus  steigen über ihn hatte hinwegklettern müssen, und wie er, als er ihr den Rucksack gereicht hatte, schnell das Alethiometer herausgenommen haben musste …
    Will verstand ihre Wut, aber nicht ihre Schuldgefühle. Doch dann sagte sie noch: »Will, bitte, ich habe etwas sehr Schlimmes getan. Weil das Alethiometer doch sagte, ich solle aufhören nach Staub zu suchen, und stattdessen dir helfen. Dir helfen deinen Vater zu suchen. Und es würde mir auch helfen dich zu ihm zu bringen. Aber ich wollte nicht hören. Ich habe getan, was ich wollte, dabei …«
    Will hatte gesehen, wie sie das Alethiometer las, und wusste, dass es ihr die Wahrheit sagte. Er wandte sich ab. Sie packte ihn am Handgelenk, aber er riss sich los und ging zum Ufer. Die Kinder auf der anderen Seite des Hafens spielten wieder. Lyra rannte ihm nach.
    »Es tut mir so Leid, Will

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