Das Meer in seinen Augen (German Edition)
ausgemacht.
Vorsichtig legten sich Hände auf Davids Schultern und griffen bestimmend zu.
»Ich wollte - also«, sagte David schnell und drehte sich um, »ich brauche Merlins Handynummer.« Erleichtert registrierte er, dass Paolo keinen weiteren Versuch unternahm, ihn anzufassen. Dennoch spürte er noch immer seine Hände auf den Schultern, als lägen warme Gewichte auf ihnen.
»Merlin hat ein Handy?«, fragte Paolo und grinste kalt.
»Ja«, sagte David. »Ich ...« Erst jetzt verstand er, was Paolos Aussage für ihn bedeutete. Entweder hatte er tatsächlich keine Ahnung von Merlins Mobilnummer, oder aber er wollte sie ihm nicht geben. Letztere Möglichkeit brachte David ein wenig aus dem Konzept.
»Ja?« Paolo setzte einen mäßig interessierten Gesichtsausdruck auf.
»Ich dachte, dass du ...« Plötzlich kam ihm das ›Du‹ absolut komisch vor und er stockte. Es dauerte einen Augenblick, bis er weitersprechen konnte: »Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen?«
»Ich habe seine Nummer nicht«, sagte Paolo und zwinkerte ihm unpassenderweise zu.
»Habt ihr nicht so ein Telefonbuch zu Hause, wo alle Nummern drin stehen?«
»Kann schon sein.« Paolo wirkte gelangweilt. »Wenn du willst, können wir ja mal nachschauen.«
»Nachschauen?«, fragte David überrascht.
»Ja, ich habe gerade eh nichts zu tun. Den ganzen Tag langweile ich mich schon zu Tode.« Paolo schnappte geschwind seinen Aktenkoffer und deutete ihm zu gehen.
David war total perplex. Irgendwie kam ihm das ziemlich befremdlich vor. Aber es machte auch Eindruck. So war es also, wenn man der Chef von einem solchen Laden war. Niemand konnte einem etwas sagen und man nahm einfach mal so eine Auszeit wenn man gerade wollte. Trotzdem schien ihm das mit der Langeweile nicht ins Bild zu passen.
Paolo schnaubte und ging ungeduldig an ihm vorbei. David sah ihn verwirrt an. Er konnte nicht recht begreifen, weshalb Paolo sich plötzlich so genervt gab.
»Sag mal ...«, begann Paolo unerwartet und drehte sich wieder zu ihm. Sein Ausdruck hielt sich wieder typisch zwischen freundlichem Lächeln, Lüsternheit und Spott. Er sah ihn einen Moment forschend an.
David kam näher. »Ja?«
»Hat es dir gefallen?«, fragte Paolo wobei seine linke Augenbraue kurz nach oben zuckte, was keinen Zweifel ließ, wovon er redete.
David wurde rot. Vorhin hatte er noch darüber nachgedacht und sich eingeredet, dass Paolo ihn nicht darauf ansprechen würde. Aber als hätte dieser seine verborgenen Befürchtungen ausgelotet, traf er mit dieser Frage genau ins Schwarze.
»Schon gut«, sagte Paolo leise, ich erzähle es keinem. Er zwinkerte. Dann reichte er ihm seine Hand.
David zögerte. Er wusste was passieren würde, wenn er diese Hand nahm. Wollte er das wirklich? Er rief sich in Erinnerung zurück, dass er eigentlich nur wegen Merlin hier war. Er wollte die Nummer haben, mehr nicht. Aber war er letztlich nicht deshalb hier, weil Merlin einfach zu schwach war?
Ehe er sich versah, spürte David, wie sich Paolos Finger um seine Hand schoben und zugriffen. Er wurde nach vorn gezogen. Die Augen geschlossen, landete sein Mund auf dem von Paolo. Dann öffnete sich die Tür.
»David!«
David zuckte zusammen. Die Stimme seines Vaters ließ ihn aus Paolos Fängen wieder auftauchen.
113
Hanne konnte ihr Glück kaum fassen. Lächelnd stand sie in der Küche und wusch mit Begeisterung die Schränke ab. Sie sprühte förmlich vor Energie, dass es ihr ein Leichtes war, die Hausarbeit ein wenig auszudehnen. Wie positiv sich doch eine gute Nachricht auf das Gemüt auswirken konnte. Endlich war die Gefahr gebannt, endlich hatten sie ihren David wieder zurück. Natürlich machte sie sich nichts vor. Die Sache war dennoch ernst, immerhin hatte David mit diesem Jungen ein Verhältnis gehabt. Hanne konnte sich das noch immer nicht richtig vorstellen - oder wollte es erst gar nicht. Jedenfalls glaubte David wohl noch immer, in diesen Merlin verliebt zu sein. Doch das würde sich mit der Zeit legen. Die Zeit war einfach stärker und begrub unerwiderte Leidenschaften unter sich. Wahrscheinlich hatte das alles so oder so ein Ende, wenn David die erste Freundin mit nach Hause brachte. Sicher, momentan glaubte er noch daran, homosexuell zu sein. Doch das würde sich mit der Zeit geben, da vertraute sie voll und ganz Ansgars Worten. Manchmal war Erwachsenwerden auch mit Komplikationen verbunden. Hanne empfand diese Art von Komplikation zwar als äußerst unangenehm, aber andere Eltern
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