Das Mond-Monster
sich übergab.
Plötzlich wurde ihr kalt. Das Zittern überfiel Helen wie ein gewaltiger Schüttelfrost. Sie konnte an nichts mehr denken und sah nur zu, dass sie normal auf dem Boden landete, als ihre Knie nachgaben und sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
Mit nach vom gedrücktem Kopf blieb sie in dieser Haltung knien. Sie konnte nicht mehr aufstehen. Sie war fertig. Seelisch und auch körperlich. Helen dachte auch nicht daran, nach einem Ausgang zu suchen, der Kopf war leer, was das normale Verhalten anging oder die normalen Reaktionen. Sie konnte einfach nur immer an die schrecklichen Leichen denken, die sie in jeder Nische gesehen hatte.
Das war mehr, als der Mensch verkraftete, und auch sie war nur eine normale Frau.
Es ist mein Grab!, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf. Es ist mein Grab. Ich werde hier sterben und ich werde hier verwesen, bis nur noch ein Knochengebilde von mir zurückgeblieben ist. Es gibt keine Chance mehr für mich. Es ist alles aus, es ist vorbei…
Nichts Positives munterte sie auf. Es waren nur die schlimmen Gedanken und Vorstellungen, die durch ihren Kopf wischten, aber es war auch die Wahrheit und damit musste sie sich abfinden.
Helen hatte oft in Büchern gelesen, dass sich Menschen leer und ausgebrannt fühlen können. Genau das erlebte sie an sich selbst. Sie war leer, sie war ausgebrannt. Sie war ohne Widerstand. Sie war nichts anderes als dieses Fast-Skelett, das sie als letztes gesehen hatte. Man konnte sie packen, sie wegschleifen und sie würde sich nicht dagegen wehren können.
Die Bilder der vier Leichen wollten ihr nicht aus dem Kopf. Auch wenn sie die Augen schloss, sah sie sie immer wieder vor sich. Der Reihe nach wehten sie heran, und jetzt, in der Erinnerung, fiel ihr wieder etwas ein, das sie gesehen hatte.
Zumindest bei den ersten beiden Toten.
Da war die Haut am Hals aufgeklafft und hatte sich wie zwei Lappen zur Seite gedehnt. Jetzt ging Helen davon aus, dass sie genau wusste, wie die Frauen ums Leben gekommen waren.
Durch einen Schnitt in die Kehle, der mit einer Sichel geführt worden war.
Mit der Waffe des Mond-Monsters!
Da war er wieder, der Gedanke an diese grauenvolle Gestalt, die sie in der Nacht überwältigt hatte. Hier in dieser Leichenhöhle hatte sie ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, aber sie glaubte nicht daran, dass sie vergessen worden war.
Irgendwann würde er kommen…
Dann würde er wieder vier neue Kerzen anzünden, deren Licht in eine Nische drang, die für sie zum Grab geworden war.
Helen fürchtete sich vor diesem Augenblick so stark, dass sie beinahe geschrien hätte. Aber sie hatte einfach nicht die Kraft dazu.
Es war so furchtbar still in ihrer Umgebung und diese Stille gehörte einfach zum Tod und zu einem Grab.
Bis Helen etwas hörte, das sie aufschreckte. Es war ein seltsames Geräusch. Ein Knacken und Schaben, das vor ihr aufgeklungen war. Da war sie sicher, denn ihr Gehör funktionierte noch ausgezeichnet.
Nur wusste sie mit dem Geräusch zunächst nichts anzufangen, bis sie es schließlich schaffte, ihren Kopf zu heben und einen Blick nach vom zu werfen.
Zuerst dachte Helen daran, dass sich das Licht der Kerzen verändert hatte. Aber so weit reichte ihr Schein nicht in die Höhle hinein. Außerdem bewegte er sich auch nicht so zuckend und hektisch. Zudem war das Licht anders. Heller und möglicherweise auch kälter.
Es blieb nicht an einem Ort stehen. Es tanzte durch die Luft und kam direkt auf sie zu.
Helen blieb knien. Erstens traute sie sich nicht, aufzustehen, und zweitens hätte sie auch nicht die Kraft gefunden.
Das Licht tanzte in. bestimmten Bewegungen, die derjenige hinterlassen hatte, der sich ihr näherte.
Und jetzt sah sie es besser!
Nein, sie schrie nicht. Dazu fehlte ihr einfach die Kraft. Sie starrte nur aus weit aufgerissenen Augen nach vom und sah, dass dieses grauenvolle Geschöpf auf sie zukam.
Eine menschliche Gestalt. Zumindest bis zum Kopf. Was auf den Schultern saß, war aber kein normaler Kopf, sondern ein viereckiges Gebilde, aus dessen Löchern das kalte Licht strömte, als hätte der Mond einen Teil seiner Helligkeit abgegeben.
Das Mond-Monster war gekommen!
Und es hatte seine Sichel mitgebracht…
***
Es war sicherlich der falsche Ort, an dem wir standen, aber es gab keinen besseren in der Nähe. Zumindest wussten wir keinen. Der Jahrmarkt lief. Die Lichter brannten. Ein buntes Wirrwarr bewegte sich zuckend und gleißend über die Fahrgeschäfte und Buden
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