Das Moskau-Komplott
in Saint-Tropez, klar, dass sich ein Schatten auf die Villa Soleil gelegt hatte. Es gab keine Partys am riesigen Swimmingpool, keine alkoholseligen Tagesausflüge mit der
October
mehr, und der Name Charkow zierte nicht mehr die Reservierungslisten der exklusiven Restaurants von Saint-Tropez. Tatsächlich bekamen die Franzosen in den ersten drei Tagen weder Iwan noch Elena zu Gesicht. Nur die Kinder, Anna und Nikolaj, wagten sich aus den Mauern der Villa, einmal, um einen Rummelplatz am Stadtrand zu besuchen, und ein zweites Mal, um am Strand von Pampelonne zu baden, wo sie in der Gesellschaft Sonjas und ihrer sonnenverbrannten russischen Leibwächter zwei trübselige Stunden verbrachten, ehe sie wieder nach Hause gebracht werden wollten.
Da der DST auf heimischem Boden operierte, war er über den Klatsch, der in den Bars und Cafes kursierte, stets auf dem Laufenden. Einem Gerücht zufolge hatte Iwan die Absicht, die Villa zum Verkauf anzubieten und dann in See zu stechen, um seinen verletzten Stolz zu pflegen. Laut einem anderen plante er, Elena eine Scheidung auf russische Art aufzuzwingen und sie an den Bettelstab zu bringen. Ein weiteres Gerücht besagte, er habe sie grün und blau geschlagen. Wieder ein anderes, er habe sie unter Drogen gesetzt und nach Sibirien verfrachtet. Ja, man erzählte sich sogar, er habe sie mit bloßen Händen erwürgt und ihre Leiche in den Seealpen verschwinden lassen. Alle diese Spekulationen waren jedoch hinfällig, als man Elena ohne erkennbare physische oder psychische Schäden bei Sonnenuntergang durch die Rue Gambetta flanieren sah. Iwan war nicht bei ihr, dafür aber ein großes Kontingent an Leibwächtern. Nach Ansicht eines Beschatters vom DST war das Sicherheitsaufgebot »eines Präsidenten würdig«.
In der kleinen Wohnung im 16. Pariser Arrondissement nahm man die Ereignisse im Süden als Bestätigung dafür, dass die erste Phase des Unternehmens, die man mit dem Motto »mit einer kleinen Lüge die große Lüge kaschieren« überschrieben hatte, ein voller Erfolg gewesen war. Unbemerkt von den Nachbarn, wurde die Wohnung zu einem Bienenstock unauffälligen geschäftigen Treibens. An den Wänden hingen Überwachungsfotos und Beschattungsberichte, ein Moskauer Stadtplan in großem Maßstab und eine Tafel, die mit Gabriels stilvoller hebräischer Linkshänderschrift vollgeschrieben war. Zu Beginn der Vorbereitungen schien sich Schamron mit der Rolle der grauen Eminenz zu begnügen. Doch als die Zeit knapp und er selber ungeduldig wurde, begann er, sich in einer Weise in den Vordergrund zu drängen, die bei allen anderen als Gabriel und Uzi Navot Unmut hervorgerufen hätte. Doch die beiden waren wie Söhne für ihn und seine kämpferischen Gefühlsausbrüche gewohnt. Sie hörten zu, wo andere sich womöglich die Ohren zugehalten hätten, und nahmen Ratschläge an, die andere womöglich aus purer Eitelkeit abgelehnt hätten. Doch vor allen Dingen, so empfand es Adrian Carter, freuten sie sich über die Gelegenheit, noch einmal ein Unternehmen mit der Geheimdienstlegende durchführen zu können. Und Carter freute sich ebenso.
Die meiste Zeit blieben sie in der Wohnung, doch einmal am Tag unternahm Gabriel mit Schamron einen Spaziergang durch den Bois de Boulogne. Die schlimmste Sommerhitze war inzwischen vorüber, und die Augustnachmittage in Paris waren schön und angenehm. Gabriel flehte Schamron an, das Rauchen sein zu lassen, hatte damit aber keinen Erfolg. Ebenso wenig konnte er ihn davon abbringen, sich wie besessen mit jedem Detail des Unternehmens zu beschäftigen, nicht mal für kurze Zeit. Wenn sie allein im Park waren, sprach er mit Gabriel über Dinge, die er im Beisein Navots oder der anderen Mitglieder des Teams nie über die Lippen gebracht hätte. Über quälende Bedenken. Unbeantwortete Fragen und hartnäckige Zweifel. Sogar über seine Ängste. Bei ihrem letzten gemeinsamen Ausflug war Schamron schlecht gelaunt und zerstreut. Im Parc de Bagatelle sagte er einige Dinge, die Gabriel am Vorabend eines Unternehmens noch nie von ihm gehört hatte, weil sie ihn vor einem möglichen Scheitern warnten.
»Du musst dich darauf gefasst machen, dass sie nicht wieder aus diesem Gebäude herauskommt. Gib ihr eine bestimmte Zeit, plus fünf Minuten Gnadenfrist. Aber wenn sie dann nicht draußen ist, heißt das, dass sie erwischt wurde. Und wenn sie erwischt wurde, kannst du dir sicher sein, dass Arkadij und seine Gorillas anfangen werden, nach Komplizen zu suchen. Wenn sie
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