Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
kontrolliert hatte, gab Polizeileutnant Grigor Pronin ihnen die Papiere zurück und winkte den ängstlich wirkenden Mann und die Frau barsch weiter. »Gut!«, knurrte er. »Alles in Ordnung. Also gehen Sie weiter.«
Er schnitt eine Grimasse. Schon seit Stunden waren er und seine gesamte Einheit mit dieser lächerlichen Fahndung beschäftigt, auf Befehl des Kreml zu dieser sinnlosen Aktion verdonnert, die nichts anderes war als ein besserer Wachdienst. Tschetschenische Terroristen sahen anders aus als die Leute auf den Fotos, die man ihm gezeigt hatte. Unterdessen, dachte er verbittert, machten Moskaus echte Verbrecher sich sicher einen schönen Tag und stahlen und raubten, was ihr schwarzes Herz begehrte.
Irritiert drehte Pronin sich um, als an einer Schranke plötzlich Verwünschungen und Flüche laut wurden. Vor einem der Automaten drängten sich schubsend die Menschen. Seine Miene wurde noch finsterer. Was zum Teufel war jetzt los? Eine Hand ärgerlich auf sein Gürtelholster gelegt, ging der Polizeioffizier nachsehen.
Die Menge an der Schranke verstummte bei seinem Anblick. Die meisten traten ein oder zwei Schritte zurück, sodass nur drei Menschen rund um das Drehkreuz übrigblieben. Einer, ein großer Mann mit schlohweißem Haar, schien sich zu bemühen, eine füllige, wesentlich ältere Frau sanft durch die schmale Öffnung zu bugsieren. Über seinen Stock gebeugt winkte ein alter Mann mit langem Schnurrbart und dreckigem verfilztem Haar, der sich schwer auf die andere Seite des Automaten stützte, die Frau matt zu sich heran. Zwei Medaillen, die an seinen fleckigen Mantel geheftet waren, wiesen ihn als Veteranen des Großen Patriotischen Krieges gegen den Faschismus aus.
»Was geht hier vor?«, fragte Pronin grimmig.
»Es liegt an meiner Mutter«, erklärte der Mann mit den weißen Haaren entschuldigend. »Sie hat Probleme mit ihrem Fahrschein. Sie steckt ihn immer wieder verkehrt herum ein.« Er wandte sich an die Frau. »Siehst du, was du angestellt hast, Mütterchen? Jetzt kommt schon die Polizei, um zu sehen, was hier los ist.«
»Schon gut«, sagte Pronin brüsk. Er griff über die Schranke, nahm der alten Frau die Magnetkarte aus der zitternden Hand und steckte sie selbst ein. Die Schranke glitt beiseite und erlaubte ihr, auf die andere Seite zu humpeln, wohin der Sohn ihr umgehend folgte. Beinahe augenblicklich stieg dem Polizeileutnant ein entsetzlicher Gestank in die Nase, ein widerlicher, durchdringender Geruch, der ihn beinah zum Würgen brachte.
Völlig überrascht von dieser Attacke auf seinen Geruchssinn, wich er einen Schritt zurück. »Großer Gott«, murmelte er schockiert. »Was stinkt denn hier so?«
Traurig zog der weißhaarige Mann die Schultern hoch. »Ich fürchte, das ist ihre Blase«, verriet er. »Sie hat sie nicht mehr richtig unter Kontrolle. Ich versuche, sie dazu zu bewegen, die Windel öfter zu wechseln, aber sie ist sehr starrsinnig, wissen Sie – fast wie ein kleines Kind.«
Angewidert winkte Pronin das Trio durch die Kontrolle seiner Männer. So konnte es einem im Alter also ergehen, dachte er düster. Dann wandte er sich ab, um wieder die Menge zu mustern, und vergaß den deprimierenden Vorfall.
Sobald sie unbeschadet aus der Metrostation heraus war, schleppte die alte Frau sich mühsam zu einer Bank und setzte sich. Die beiden Männer folgten ihr.
»Ich schwöre zu Gott, Oleg«, zischte Fiona Devin dem großen Mann, der sich als ihr Sohn ausgab, wütend zu, »ich kotze
mich voll, wenn ich nicht aus diesen stinkenden Klamotten und all diesen verdammten Polstern herauskomme – und zwar bald!«
»Es tut mir leid«, erwiderte Kirow reumütig. »Aber es ging nicht anders.« Eine seiner buschigen Augenbrauen hob sich leicht amüsiert. »Andererseits, meine Liebe, musst du zugeben, dass ein wenig Erbrochenes deine Verkleidung noch einen Hauch glaubhafter machen würde.«
Auf seinen Stock gestützt gab Jon Smith sich alle Mühe, ernst zu bleiben. Der aufgeklebte auffällige Schnurrbart und die Perücke, die er trug, juckten zwar fürchterlich, doch wenigstens waren sein Mantel und seine abgewetzte Hose mit nichts Ärgerem als Maschinenöl und eingeriebenem Dreck verschmutzt. Fiona, die dick ausgepolstert und dann in ekelhaft schmutzige Kleidung gezwängt worden war, hatte es viel schlimmer erwischt.
Smith bemerkte, dass andere Fußgänger und Passanten einen weiten Bogen um sie machten und mit gerümpften Nasen und abgewandten Blicken eilig das Weite suchten.
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