Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
auflegte, starrte er mehrere Minuten reglos vor sich hin.
Dann griff Heichler langsam und zögerlich, mit Händen, die noch schlimmer zitterten als zuvor, erneut nach dem Telefonhörer. Wenn die Amerikaner diejenigen schnappten, die für die Ermordung ihrer Feldagenten in Berlin verantwortlich waren, würden sie mit Sicherheit Hinweise entdecken, die sie direkt zum BfV führten – und zwar zu ihm. Er hatte nach wie vor keine Wahl, dachte er verzweifelt. Ihm blieb nichts anderes übrig.
Kapitel einundvierzig
Moskau
Konstantin Malkowitsch saß gemütlich am Frühstückstisch seines luxuriösen Apartments im obersten Stock eines Gebäudes, von dem aus man den Finanzdistrikt Kitaj Gorod überblicken konnte. Während er die Zusammenfassungen der nächtlichen Aktivitäten seiner Börsenmakler in den Vereinigten Staaten und Asien überflog, trank er seinen Tee aus. Zum ersten Mal seit mehreren Tagen fühlte der Milliardär sich in der Lage, sich auf die Routine seines weit verstreuten Geschäftsimperiums zu konzentrieren. Brandt hatte die beiden Amerikaner – Smith und Devin – fest im Griff und die letzten Nachrichten aus Berlin hörten sich auch sehr erfreulich an.
HYDRA war wieder völlig sicher.
Leise kam einer seiner Bediensteten mit einem Telefon herein. »Herr Titow ist am Apparat.«
Leicht verärgert blickte Malkowitsch auf. Titow war in seiner Abwesenheit für die Moskauer Büros verantwortlich. Was war so wichtig, dass es nicht warten konnte, bis er wenig später im Paschkow-Haus eingetroffen sein würde? Er nahm das Telefon. »Ja, Kirill?« , sagte er. »Wo liegt das Problem?«
»Wir haben eine E-Mail erhalten, die an Sie persönlich gerichtet ist«, erklärte Titow. »Sie ist dringlich. Ich dachte, das sollten Sie wissen.«
Mit einiger Mühe unterdrückte Malkowitsch seine Gereiztheit. Wie vielen Russen, die unter dem alten Sowjetsystem groß geworden
waren, fiel es Titow schwer, Eigeninitiative zu entwickeln und ohne ausdrückliche Anweisung seines Vorgesetzten zu handeln. »Also gut«, seufzte er. »Lesen Sie mir die E-Mail vor.«
»Leider kann ich das nicht«, entgegnete Titow vorsichtig. »Sie ist anscheinend mit dem SOVEREIGN-Programm verschlüsselt.«
Malkowitsch runzelte die Stirn. Das SOVEREIGN-Verschlüsselungssystem war für brisante Informationen reserviert, die mit seinen geheimen und illegalen Machenschaften zu tun hatten. Nur Malkowitsch und einige seiner engsten Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, diese Botschaften zu entschlüsseln. »Verstehe«, sagte er nach einer Pause. »Es war richtig, dass Sie mir sofort Bescheid gegeben haben. Ich werde mich später selbst mit der Sache befassen.«
Nachdem er die Verbindung mit Titow unterbrochen hatte, stand er vom Frühstückstisch auf und ging in sein Arbeitszimmer. Schnell drückte er einige Tasten an seinem Computer, rief die E-Mail auf und ließ sie in Klartext umwandeln. Es handelte sich um einen aufgeregten Bericht von einem der besten Mitarbeiter in Deutschland, einem Mann, der die verschiedenen Informanten und Agenten führte, die Malkowitsch in mehrere wichtige Ministerien des Landes eingeschleust hatte.
Malkowitsch las die Botschaft mit wachsender Bestürzung. Das Killerkommando, das Brandt nach Berlin geschickt hatte, war ausgelöscht worden. Schlimmer noch, dieser Lange und seine Männer hatten ihr wichtigstes Ziel nicht erreicht. Die Amerikaner waren Renke immer noch dicht auf den Fersen. Das geheime HYDRA-Projekt war stärker gefährdet als je zuvor.
Kühl kalkulierte der Milliardär die wahrscheinliche Reaktion des russischen Präsidenten auf diese Neuigkeit. Er zog eine Grimasse. Dudarews Drohungen waren deutlich gewesen. Konnte man ihm die Einzelheiten vorenthalten? Der Präsident hatte seine eigenen Informationsquellen und auf die eine oder andere Weise würde er bald von diesem Desaster erfahren. Wenn es so weit war,
konnte Malkowitsch ganz sicher nicht mit Nachsicht rechnen. Da Russlands Armeen bereits gegen die ahnungslosen Feinde in Marsch gesetzt worden waren, stand für Dudarew zu viel auf dem Spiel, um Fehler zu verzeihen.
Mit finsterer Miene löschte Malkowitsch die verflixte Nachricht und fuhr den Computer herunter. Eine Weile saß er noch brütend da, starrte auf den leeren Bildschirm und erwog die möglichen Vorgehensweisen. HYDRA konnte natürlich immer noch gerettet werden, doch das nahm er besser selbst in die Hand – an einem Ort, wo Dudarews langer Arm ihn mit Sicherheit nicht erreichen
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