Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
Nationalen Sicherheitsrat ab. Ihr Blick wanderte rasch vom Bildschirm vor ihr zu den gekritzelten Notizen auf ihrem Tisch und dann durch den Rest des Raums.
Die anderen Tische und Arbeitsplätze waren leer. Sie lächelte kaum merklich. Einen nach dem anderen hatte sie ihre Assistenten mit verschiedenen Aufträgen in weit auseinanderliegende Büros des Weißen Hauses geschickt.
Ein Kellner mit weißen Handschuhen betrat den Raum und brachte ein abgedecktes Tablett.
Sie unterbrach ihre Arbeit und sah stirnrunzelnd auf. »Ja? Was ist das?«
»Das Essen für den Präsidenten, Ma’am«, antwortete der Kellner höflich.
Estelle Pike deutete mit einer Kopfbewegung auf eine freie Ecke ihres Schreibtisches. »Sie können es hierlassen. Ich bringe es ihm gleich.«
Überrascht zog der Kellner eine Augenbraue hoch. Die Sekretärin des Präsidenten war beim Serviceteam des Weißen Hauses ziemlich unbeliebt und berüchtigt für ihre strikten Maßstäbe bei Protokoll und Rang. Nur äußerst selten übernahm sie freiwillig Pflichten, die sie für unter ihrer Würde hielt.
»Der Präsident ist sehr beschäftigt, Anson«, erklärte sie kühl. »Er möchte im Augenblick nicht gestört werden.«
Der Kellner blickte auf die geschlossene Tür hinter ihr und zuckte die Achseln. »Ja, Ma’am. Aber bitte lassen Sie es nicht zu lang stehen. Sonst fängt der Salat an zu welken.«
Estelle Pike wartete, bis die Tür sich hinter dem Kellner geschlossen hatte, dann bückte sie sich und öffnete ihre Handtasche. Darin lag, eingepackt in Seidenpapier, das kleine, versiegelte Glasröhrchen, das sie aus dem toten Briefkasten in Maryland geholt hatte.
Mit ruhigen, präzisen Bewegungen öffnete sie das Röhrchen, nahm den Silberdeckel von Castillas Salat und verteilte die Flüssigkeit großzügig über das gemischte Blattgemüse, Salsa und Sour Cream, den Käse und die gegrillten Hähnchenfleischstreifen. Dann steckte sie das Röhrchen wieder in ihre Tasche, stand auf und griff nach dem Tablett.
»Das wird nicht nötig sein, Ms. Pike«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihr.
Verblüfft hielt sie inne, dann drehte sie sich langsam zu der Tür um, die ins Oval Office führte. Dort stand Nathaniel Frederick Klein. Sein schmales Gesicht mit der langen Nase zeigte keine Regung. Zwei uniformierte Secret-Service-Agenten mit gezückten Waffen flankierten ihn.
»Was hat das zu bedeuten, Mr. Klein?«, fragte Estelle Pike eiskalt, offenbar mit der Absicht, ihn einzuschüchtern.
»Das bedeutet, dass Sie verhaftet sind, Ms. Pike«, erwiderte Klein ungerührt.
»Mit welcher Begründung?«
»Fürs Erste wegen versuchten Mordes an Präsident Samuel Adams Castilla«, erwiderte er mit frostigem Blick. »Aber zweifellos werden noch weitere Anklagepunkte dazukommen, wenn wir uns näher mit Ihrem Lebenswandel und Ihrem Hintergrund befassen.«
Später, als er dem sichtlich geschockten Castilla gegenübersaß, schob Klein das Glasröhrchen über den großen Pinienholzschreibtisch des Präsidenten. »Wir werden das, was vom Inhalt noch übrig ist, analysieren lassen, doch wenn Jon Smiths Vermutungen zutreffen, werden wir wohl nicht viel Nützliches darin finden.«
Castilla nickte grimmig. Er zog die Mundwinkel nach unten und schüttelte fassungslos den Kopf. »Estelle Pike! Sie ist schon seit Jahren bei mir, seit ich ins Weiße Haus eingezogen bin.« Er schaute den Leiter des Covert-One an. »Wieso hattest du sie in Verdacht?«
Klein hob die schmalen Schultern. »Verdacht wäre zu viel gesagt, Sam. Sobald wir wussten, wie leicht diese speziell zugeschnittene biologische Waffe den Opfern verabreicht werden kann, hatte ich eine kleine Unterhaltung mit dem Mann, der beim Secret Service für deine Sicherheit verantwortlich ist. Seitdem werden im Weißen Haus sämtliche Schritte der Nahrungszubereitung überwacht. Ms. Pikes Domäne war die einzig mögliche Sicherheitslücke, daher habe ich sie beobachten lassen. Als sie anfing, ihre Assistenten unter einem Vorwand fortzuschicken, nachdem du in der Küche diesen Salat bestellt hast, hielt ich es für eine gute Idee, sie im Auge zu behalten.«
Castilla tippte leicht an das Röhrchen. Sein Blick war nach wie vor traurig. »Aber warum? Warum sollte sie das tun?«
»Ich schätze, wir werden herausfinden, dass unsere Ms. Pike ein stilles Wasser mit zahlreichen Tiefen ist«, sagte Klein tonlos. »Gelegentlich habe ich mir schon Gedanken über sie gemacht. Ihre Position hier im Weißen Haus hat ihr Zugang zu einer
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