Das Muster der Liebe (German Edition)
noch mal loszulassen.
“Hallo, Matt”, sagte ich.
Mein Schwager grinste und winkte mir zu. Ich erinnerte mich daran, wie Matt und Margaret begannen, miteinander auszugehen. Da sie fünf Jahre älter war als ich, erschien mir der damals siebzehnjährige Matt sehr reif und erwachsen, ein Mann von Welt. Sie heirateten jung, was meinem Vater nicht unbedingt gefiel. Er war der Meinung, meine Schwester solle zuerst ihr Studium abschließen. Das tat sie auch, nutzte ihre Ausbildung jedoch nie. Dabei hatte Vater es sich so gewünscht. Margaret war in den letzten Jahren in einigen Jobs tätig, aber keiner hatte sie wirklich ausgefüllt. Im Augenblick arbeitete sie halbtags für eine Reiseagentur. Mit mir sprach sie jedoch nie über ihre Arbeit. Dass sie so oft wie möglich zu Hause sein wollte, um sich um die Kinder zu kümmern, fand ich gut. Das hatte ich ihr jedoch noch nie gesagt, weil ich nicht sicher war, wie sie es aufnehmen würde.
Nachdem wir uns begrüßt und anschließend ein bisschen geredet hatten, fuhren wir zum Friedhof. Meine Mutter hatte einen üppigen Strauß Flieder aus dem Garten mitgebracht, und Julia und Hailey stellten ihn in die Vase auf dem Grab meines Vaters.
Schon immer fand ich Friedhöfe interessant. Als Kind hegte ich eine fast schon makabre Leidenschaft für Grabsteine. Ich liebte es, die Inschriften auf den alten Steinen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zu lesen. Während Margaret und meine Eltern am Grab meiner Großeltern beteten, wanderte ich immer umher. Einmal brach ich mir sogar das Bein, als eine Muttergottesstatue auf mich fiel. Ich habe Mom und Dad nie erzählt, dass ich auf die Statue geklettert war, um einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen.
Als ich nun auf den neuen Grabstein meines Vaters blickte, drohte mich eine Welle der Trauer zu überrollen. Die marmorne Tafel erzählte nicht viel. Sein Name stand dort, James Howard Hoffman, und die Geburts- und Todesdaten: 20. Mai 1940 – 29. Dezember 2003.
Geburt und Tod – alles, was dazwischen passierte, war ein Gedankenstrich. Der stumme Strich sagte nichts aus über seinen Dienst in Vietnam oder seine immerwährende Liebe für seine Frau und seine Töchter. Dieser Gedankenstrich zeigte nicht, wie viele zahllose Stunden er an meinem Krankenbett verbracht, mich getröstet, mir etwas vorgelesen und sich bemüht hatte, mir zu helfen. Es gab keine Worte, die die tiefe Liebe meines Vaters beschreiben konnten.
Plötzlich überfiel mich wieder der bekannte Schmerz. Eine Folge des Tumors, mit der ich bis heute zu kämpfen habe, ist die Migräne. Mit den neu entwickelten Medikamenten bekomme ich die anfallartigen Kopfschmerzen zum Glück meist schnell in den Griff. Die Symptome waren eindeutig.
Doch dieser Schmerz kam völlig überraschend.
Ich griff in meine Tasche, um die Pillen herauszuholen, die ich ständig bei mir trug. Meine Mutter, die mitbekommen hatte, dass etwas nicht stimmte, kam zu mir und sah, dass ich schwankte. “Lydia, was ist los?”
Ich atmete langsam und tief. “Ich muss nach Hause”, flüsterte ich matt und schloss die Augen vor dem grellen Sonnenschein.
“Margaret, Matt”, rief Mom. Sie schlang den Arm um meine Taille. Wenige Minuten später saß ich im Wagen. Doch statt Matt zu bitten, mich in meine eigene Wohnung zu bringen, bestand Mutter darauf, dass ich zu ihr nach Hause gebracht wurde.
Kurz darauf lag ich in dem Zimmer, in dem ich den Großteil meiner Kindheit verbracht hatte, auf dem Bett. Die Vorhänge waren zugezogen. Mom legte einen kühlen Waschlappen auf meine Stirn und ging auf Zehenspitzen hinaus.
Ich wusste, dass ich für ein paar Stunden schlafen würde, wenn die Medikamente erst wirkten. Danach würde es mir besser gehen. Aber den Punkt zu erreichen – den Punkt, an dem die Schmerzen nachließen – war schwierig.
Bald nachdem meine Mutter das Zimmer verlassen und der pochende Schmerz seinen Höhepunkt erreicht hatte, wurde die Schlafzimmertür abermals geöffnet. Und obwohl ich die Augen geschlossen hielt, wusste ich, dass meine Schwester in das Zimmer getreten war.
“Du kannst es nicht lassen, stimmt’s?” In ihren Worten schwang Bitterkeit mit. “Du kannst nicht einen Tag verstreichen lassen, ohne dass sich alles um dich dreht, oder?”
Ich konnte nicht glauben, dass meine Schwester tatsächlich annahm, ich hätte die Migräne heraufbeschworen, nur um einige Minuten Aufmerksamkeit zu haben. Würde Margaret wissen, wie sehr man bei Migräne litt, hätte sie mir niemals
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