Das Nest des Teufels (German Edition)
hier. Ich komme morgen mit Deividas nach Helsinki. Wir sind auf dem Weg nach Tartu. Wollen wir uns treffen? Du kannst mir im Hotel Torni eine Nachricht hinterlassen.»
Rand hatte seine Telefonnummer nicht angegeben, und eine SMS von einem unbekannten Teilnehmer konnte man nicht beantworten. Deividas war also auf dem Weg nach Tartu, vermutlich zu seinen Großeltern. Im vorigen Herbst hatte ich in meiner Verzweiflung Davids Mutter angerufen und sie gebeten, sich bei meinem «Sekretär» Laitio zu melden, falls sie etwas von David hörte. Ich hatte ihr Laitios Dienstnummer gegeben, doch die stand ihm seit Ende November nicht mehr zu; Anrufer wurden mit der Zentrale verbunden. Falls Eva Stahl versucht hatte, eine Nachricht für Hilja Karttunen – unter diesem Namen war ich aufgetreten – zu hinterlassen, hatte man ihr vermutlich gesagt, die Zentralkripo habe keine Mitarbeiterin dieses Namens.
Da ich nicht wusste, wann Rand und Deividas eintrafen, hielt ich es für ratsam, sofort eine Nachricht zum Hotel zu bringen. Im Flur fragte Juri, wohin ich wolle, und ich erwiderte knapp, das gehe ihn nichts an. Er warf mir einen enttäuschten Blick zu. Draußen regnete es, der Wind blies in heftigen Böen, wie man sie nur in den Straßenschluchten von Helsinki erlebte. Der Rezeptionist des Hotels Torni versprach, meinen Brief an den Empfänger weiterzuleiten. Darin stand lediglich, dass ich im Prinzip verfügbar sei, aber noch nicht wisse, welche Pläne meine Arbeitgeberin habe.
Die Fotos von dem Zwischenfall in der Ladenpassage Kämp landeten noch am selben Abend auf der Webseite des Klatschblatts, und am nächsten Tag erschienen sie auch in den Boulevardzeitungen. Netta Nuotio, die PR -Chefin von Syrjänens Firma, rief mich an und fragte, wie das Unternehmen auf die seltsame Publicity reagieren sollte.
«Es war Julia Gerbolt, die angegriffen wurde, nicht die frühere Frau Syrjänen. Es ist nicht Syrjänens Aufgabe, die Taten seiner Exfrau zu erklären. Ich würde keinerlei Kommentar abgeben», antwortete ich, dachte aber insgeheim, dass solche Entscheidungen eigentlich in den Aufgabenbereich der PR -Expertin fielen.
«Es wird auch gefragt, ob Julia eine Leibwächterin hat, weil sie von anderer Seite bedroht wurde.»
«Auch das würde ich nicht kommentieren.»
Die Geschäftsräume von Syrjänens Firma befanden sich neuerdings im Stadtteil Hietalahti, nicht weit entfernt von der Wohnung am Bulevardi. Früher waren sie in Westend in einem Nebengebäude von Syrjänens Eigenheim untergebracht gewesen, aber nach der Scheidung war es unmöglich geworden, weiter dort zu arbeiten. Die Firma hatte nur einige festangestellte Mitarbeiter, für Bauprojekte wurden Subunternehmer eingesetzt, und das Einkaufszentrum in Kymenlaakso wurde als separate Einheit gemanagt, die Syrjänen einige Male im Monat besuchte.
«Du hast es auf die Titelseite des Abendblatts geschafft», sagte Hanna trocken, als sie vom Einkaufen zurückkam. Sie hatte die Zeitungen mitgebracht.
«Ich würde eher sagen, ich bin dorthin geraten.»
«Für viele wäre das die Sternstunde ihres Lebens.»
«Für mich nicht.» Durften die Patienten im Psychiatriegefängnis Zeitung lesen? Mein Name wurde in dem Artikel nicht genannt, aber ich bildete mir ein, mein Vater würde mich auf dem Foto erkennen, das offenbar von der Webseite des Klatschblattes kopiert worden war. Mein Kinn hatte genau dieselbe Form wie seins. Wie sah er jetzt aus, nach dreißig Jahren? War er von den Medikamenten aufgedunsen, trug er eine Brille? War er bereits ergraut und wirkte vorzeitig gealtert? Er war jetzt sechzig und hatte die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbracht. Wie kam so einer überhaupt zurecht in einer Welt, in der es Handys, Bankkarten und Facebook gab? Finnland hatte in dieser Zeit mehrere Präsidenten gehabt, Parteien waren entstanden und verschwunden. Man sollte meinen, dass solche Veränderungen selbst den gefährlichsten Verbrecher in Verwirrung brachten.
Ich hatte gehört, dass Satu Syrjänen ihren Mann im Laufe ihrer Ehe ein paarmal tätlich angegriffen hatte, aber nicht gegen ihn angekommen war. Die einzige Waffe, die sie dabei benutzt hatte, war ein Nudelholz gewesen. Wenn die Übergriffe anhielten, konnte Julia ein Annäherungsverbot beantragen. Das erklärte ich ihr, als ich die Zeitungen in ihr Zimmer brachte, wo sie sich die Augenbrauen zupfte.
Julia bat mich, die Berichte zu übersetzen, und stellte anschließend zufrieden fest: «Die Frau blamiert nur sich
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