Das neue Evangelium
zypriotischem Griechisch, das Henri ein wenig verstand.
»Nein«, sagte Henri, »wir pilgern zum Grab des Apostels Barnabas. Wir suchen ein Lager für mehrere Nächte.«
»Und wir wollen das neue Evangelium sehen!«, stieß Ludolf erwartungsfroh hervor.
Fragend blickte der Mönch ihn an. Dann sagte er abweisend: »Hier könnt ihr nicht bleiben. Unsere Mittel sind begrenzt.«
»Suchen wir uns im Ort eine Bleibe«, sagte Jesus de Burgos.
»Nein, wartet!«, sagte plötzlich jemand. Die Gruppe der Reisenden erblickte einen Mönch, dessen roter Schal ihn als höheren Funktionsträger des Klosters auswies. »Es ist Christenpflicht, Pilger zu beherbergen. Du darfst sie nicht fortschicken, Bruder Evaistos!«
»Ich weiß«, erwiderte der Pfortendiener mürrisch. »Aber sie gefallen mir nicht.«
»Kommt herein, steigt vom Pferd, seid willkommen für die üblichen drei Nächte!«, sagte der Mönch mit dem roten Schal. »Ich bin Bruder Agios Philon. Wendet euch an mich, wenn ihr etwas wünscht. Ich führe euch zum Gästehaus.«
»Dürfen Frauen bleiben?«, fragte Madeleine.
Henri übersetzte die Frage, und der Mönch nickte. »Wir haben einen eigenen Trakt für Pilgerinnen. Ich zeige euch alles.«
Bruder Agios führte sie über den Klosterhof. Überall waren Spuren täglicher Arbeit zu erkennen. Etwas abseits stand eine Grabkapelle, die über und über mit leuchtenden Außenfresken bemalt war.
»Die Grabstätte des Apostels!«, flüsterte Ludolf ehrfurchtsvoll.
»Wir werden sie sogleich aufsuchen«, sagte Henri.
Bruder Agios fragte sie, woher sie kamen. Henri gab ihm daraufhin eine der unverfänglichen Erklärungen, die er für solche Fragen bereithielt. Ludolf und Jesus erzählten ihm ihre Geschichte. Der Mönch verstand, dass sich die kleine, ehrfürchtige Pilgergemeinschaft unterwegs zufällig zusammengefunden hatte, und war zufrieden.
»Alle Wege führen zu Gott«, sagte er und faltete die Hände. »Verzeiht unserem Bruder an der Pforte seine Unfreundlichkeit. Es sind hier in den letzten Wochen einige Menschen angekommen, die Ungutes im Sinn hatten. Er ist vorsichtig geworden.«
»Was für Menschen waren das?«, fragte Henri.
»Ihr werdet es noch erfahren. Jetzt verstaut eure Sachen, für die Pferde wird gesorgt. Ich zeige auch der jungen Pilgerin ihre Zelle.«
Jeder bezog einen kleinen Raum, in dem ein wackliger Tisch mit einem Stuhl stand, Waschgeschirr war vorhanden und ein Strohsack für die Nachtruhe.
Uthman kam in Henris Zelle. Er sah aus, als grüble er über etwas nach. Er starrte stumm aus der Fensteröffnung, dann sagte er:
»Freundschaft überwindet nicht die religiösen Unterschiede, mein Henri. Ich kann in diesem Kloster nicht bleiben. Selbst wenn die christlichen Mönche mich lassen, bin ich meinem Glauben schuldig, an einem neutralen Ort zu wohnen. Ich werde mir eine Unterkunft in Enkomi suchen.«
»Ich verstehe«, sagte Henri. »Aber das brauchst du nicht so dramatisch anzukündigen. Du bist ein freier Mann.«
»Von meinem Zimmer aus sah ich, wie Mönche drei Kreuze herumtrugen. An jedem hing ein Gekreuzigter.«
»Jesus, Gott Vater und der Heilige Geist, Amen«, sagte Henri. »Es ist nur symbolisch gemeint.«
»Ja«, erwiderte Uthman. »Ihr Christen habt dem einzigen und wahren Gott zwei weitere Götter beigesellt. Nach dem Koran ist das eine Sünde. Es ist abscheulich. Der Prophet Mohammed kämpfte einst in Mekka gegen die herrschende Sippe der Quraisch, die die vier Töchter Allahs anbeteten. Auch dieser heidnische Glaube war abscheulich. Allah ist der einzige Gott! Deshalb kann ich auf diesem unheiligen Klostergelände nicht bleiben.«
»Das hast du vorher gewusst, mein Uthman! Du kennst die christliche Religion durch und durch. Du hast einen gläubigen Anhänger dieser Religion vor dir!«
»Ich weiß. Klöster werden im Koran ebenfalls verurteilt. Sie verstellen mit ihren irdischen Ritualen den Blick auf Gott.«
»Du bist heute übellaunig, mein Uthman«, sagte Henri. »Tue, was du für richtig hältst.«
»Wenn du mich brauchst für die Übersetzung dieses Evangeliums, dann rufe mich. Vielleicht meide ich die Stätten der Christenheit in diesem Land und übernachte unter freiem Himmel. Du wirst mich finden, mein Freund.«
Uthman ging hinaus. Henri blickte ihm nachdenklich hinterher. Der Freund verbarg etwas vor ihm. Henri wusste, er würde es nicht aus ihm herausbekommen, Uthman musste es freiwillig erzählen. Aber er war in Unruhe, das spürte Henri.
Henri ging zu Ludolf von
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