Das Paradies
auch, dass durch die Verbannung einiger unliebsamer Regisseure in der Provinz teilweise glänzendes Theater entstanden ist und Einfluss hatte, ob das die Parteipolizei nun wollte oder nicht. Theater war das, mit einer wahnsinnigen Subtilität, die es bei uns gar nicht gab in der Form.
Künstler waren in der DDR die einzige Gruppe, die das machen durfte, was sie konnte. Ich kenne die DDR ja, verzeih, aber viel länger als du. Das ist altersbedingt. Und wir haben uns schon Sachen mit dieser Faszination angesehen. Da standen Leute auf den Bühnen, die für das Publikum formulierten: Schaut mal her! Wir sind gezwungen, alles unter Niveau zu machen, aber hier nicht, hier sprechen wir auf hohem Niveau. Das konnte ja niemand.«
|128| Er geht geistesabwesend zu einem Zuckerwattestand. »Dreimal bitte, ganz groß … So ist das ja mit den Parteikadern, mit den Spitzen, dass die im Grunde die Arbeiterklasse verachtet haben. Das haben schon Liebknecht und Luxemburg erkannt, dass man, wenn es so einen Staat geben würde, eine ganz andere Partei braucht. Die Masse in der DDR, das waren ja auch überhaupt keine Arbeiter.«
Wir halten die Zuckerwatte und bleiben noch etwas, weil es so gut riecht oder weil Hans einfach nicht weiterläuft. »Die Ingenieure«, sagt er und wedelt mit seiner Zuckerwatte, als wäre die Zuckerwatte ein Ingenieur, »waren zum Beispiel durchaus in der Lage, richtige Autos zu bauen, sie durften nicht.« Wir laufen ein Stück.
»Können wir Lose kaufen?«, frage ich.
»Nur in der Kultur, leider nur dort, fand eine einzigartige Selbstvergewisserung statt, es war auch den Kommunisten nicht möglich, sich nur auf kommunistische deutsche Kultur zurückzubesinnen.«
Er lacht. »Die gab es ja gar nicht. Also musste man die ganze deutsche Kultur erben. Man durfte die Leute da ja noch zwingen, ins Ballett zu gehen.«
»Igitt«, sagt Birgit.
»Lose kaufen?«
»Eigentlich irre, was so ein kleiner, verkrampfter Staat alles hervorgebracht hat.«
»Weiß nichts davon«, sagt Birgit.
»Ist ja auch wie vergessen. Jetzt rennen sie zu Wahrsagern und in Autohäuser. Vom Westen aus haben das auch nicht viele Leute so gesehen. Nur ganz wenige Künstler, Schriftsteller, Musiker sind überhaupt noch bekannt.«
»Wozu?«
|129| »Weil sie gut waren, und du musst doch deine Herkunft kennen. Ich jedenfalls dachte erst, wenn ich im Osten bin, dann finde ich all das wieder. Aber es ist weg.«
So geht der Tag zur Neige und unsere Zuckerwatte auch. »So ein großer Haufen Zuckerwatte und am Ende sind’s wahrscheinlich nur fünf Stücke Zucker. Erzählt das mal besser euren Eltern nicht. Wollt ihr noch einen Schokoapfel?«
»Cool«, rufen wir.
Hans dreht auf seinem neuen Fußballfeld eine Runde wie ein König durch seinen Park. Vom Spielfeldrand aus schauen die Dorfbewohner ihm zu. Sie bewundern ihn. Oft wird er zum Essen eingeladen. Die Frauen schenken ihm Sekt.
Hans ist ihr Anwalt, ihr Verteidiger, er hat sie gegen die Welt zu verteidigen. Und vor der muss man sich in Acht nehmen, von hier aus, von Osten aus gesehen. Wer hätte denn gedacht, dass es im Kapitalismus wirklich nur um Zahlen und Fakten geht und nicht um Anstand. Seit ein paar Jahren erst, vielleicht erst seit 1995, sagen die Ostdeutschen von sich selbst, dass sie eben Ostdeutsche sind, nicht Bundesbürger. So eine Verarsche sei das alles gewesen, die Wende, die Einheit. Und jetzt identifiziert man sich doch tatsächlich mit etwas, auf das man geschimpft hat damals, geschimpft und verflucht und es hingenommen, aber das nun seit sechs Jahren gar nicht mehr existiert.
Der Anwalt war auch unser Beschützer, und das machte ihn irgendwie unantastbar. Wann immer man ihn sah, hatte er Geschenke von Dorfbewohnern im Arm: Eier zum Beispiel, ausrangierte Stühle, antik, ein oder zwei sorgfältig |130| eingewickelte und mit lockig gezogenen Geschenkbändchen versehene Flaschen, die er bei sich zu Hause aufbewahrte: »Immer Spumante, immer nur Spumante«, sagte er, und ich wusste nicht genau, was er damit meinte.
Er vertrat die großen Baufirmen, die sich hier niedergelassen hatten und um die Millionenaufträge konkurrierten. Es sind die Geschäftsführer dieser Baufirmen, die hier die großen Höfe gekauft haben und Pferde besitzen, die der freiwilligen Feuerwehr beitreten, das Spanferkel spendieren und ihren Porsche um die Schlaglöcher schlängeln.
Er vertrat den Bürgermeister, der ihn oft zum Bier einladen wollte, die Sekretärinnen und
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