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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Mannschaft an, was |28| das denn für eine beschissene Nachricht ist. Der Junge sagt, dass das wohl der Florian sei, weil der ja immer den Häuptling macht und die bunte Kopfbedeckung da oben liegt. Wir dürfen nicht hochlaufen. Wir dürfen nichts. Höchstens uns fragen, ob das wahr ist. Wir treffen uns im Indianerkostüm an der Bushaltestelle. Wir überlegen, ob das alles möglich ist. Ich informiere die anderen darüber, dass Florian womöglich in einem schwarzen Land ist. Wir diskutieren die Geschichte, als wäre sie verhandelbar.
    Das war Freitag. Und am Freitag hat sich Florian, schon 14 Jahre alt, mit einem Kissen auf die Gleise gelegt, damit sein Kopf nicht so hart liegt, und hat dann seinen Arm festgebunden. Und als der ICE Richtung München drüberfuhr, zerplatzte das Kissen und die Federn flogen in das Paradies herein.

|29| 2. Mütter
    Das Arbeitsamt ist unordentlich. Und voll. In dem langen, grauen Gang gibt es drei Stühle, auf denen drei alte Damen sitzen. Der Rest lümmelt auf dem Boden, dicht beieinander, links und rechts an die Wand gelehnt. Wenn eine Mitarbeiterin mit einem großen Aktenstapel aus einer der Türen kommt, an ihnen vorbeiläuft, ziehen sie die Beine ein, ab und an rutscht sich einer in eine gerade Position. Meine Mutter stöhnt. Sie nimmt die schmale Schneise zwischen den Wartenden, die fremden Beine ziehen sich mit jedem Schritt meiner Mutter ein. Ich schaue nicht zur Seite. Höchstens ein bisschen. »Hallo«, sagt meine Mutter zu einer dicken Frau, »hallo«, sagt sie, »na, na.«
    Die Frau hat einen Stapel T-Shirts unter dem Arm. Auf dem obersten prangt Micky Maus. »Da hatte ich es endlich geschafft, an die Bügelmotive zu kommen, habe 150 T-Shirts mit Goofy und Micky Maus bebügelt und drei Wochen später kommt die Wende. Und jetzt kann jeder solche T-Shirts in der Kaufhalle kaufen. Nicht nur das. Jetzt heißt es, es sei illegal, Kopien zu machen.« Die Frau schüttelt den Kopf, meine Mutter klopft ihr auf die Schulter und dann an die Tür.
    »Herein.«
    Wüstes Büro.
    |30| »So, Frau Hünniger, Sie kommen ja pünktlich. Akte ist auch schon da. So, dann woll’n wir mal sehen.« Genaues Blättern. »Oho, eine Frau Doktor sogar, na, das tragen wir gleich mal in der Qualifikation nach. So.« Sie kritzelt. Im Regal dudelt ein Radio. »Lambada« läuft. Die Frau summt ein bisschen mit.
    »Was haben Sie gerade im Angebot?«, fragt meine Mutter.
    »Was haben wir im Angebot. Nun, als Erstes könnten Sie eine Umschulung machen. Das wäre dann sogar hier in Weimar. Da müssen Sie der Kinder wegen nicht weg. Gibt ja jetzt überall neue Institute, wo man was lernen kann. Kostet natürlich teilweise was extra. Wir hätten hier einen neuen Bildungsträger in der Agraringenieurschule, die wird ja jetzt abgewickelt, da wird man jetzt umgeschult. Umgang mit Standardsoftware und Tabellen, was für Leitungspersonal aus der Landwirtschaft, steht hier.«
    »Ja, hört sich gut an.«
    »Danach können Sie eine ABM-Stelle haben, in der Stadtverwaltung. Da müsste das Volkseigentum zurückgeführt werden in die Gemeinde oder an die ehemaligen Eigentümer. Dazu gehört Recherche, und Sie müssen den Angestellten den Umgang mit der Software beibringen, also was Sie in der Umschulung gelernt haben.«
    »Ja, hört sich gut an.«
    »Sie können aber auch hier im Arbeitsamt anfangen. Wir sind vollkommen überlastet.«
    »Nein, danke, das hört sich nicht gut an.«
    »Na dann, schade, auf Wiedersehen.«
    Und zu mir: »Pass schön auf deine Mutter auf.«
    Draußen ist die Schlange an der Wand noch länger geworden. Sieht aus wie ein Tausendfüßler. Ich habe das Gefühl, |31| mich bei meiner Mutter für etwas entschuldigen zu müssen. Und das Gefühl bin ich lange nicht mehr losgeworden. Mir tat irgendwas leid. Was war hier eigentlich los? Die Routine, mit der wir seit einer Weile verschiedene Ämter besuchten, war wie der Rest einer geordneten, heilen Welt.
    Wie viel Lebenszeit wir in Arbeitsämtern, Autohäusern, Möbelmärkten, in Umschulungsräumen und im Wartebereich der Bank verbracht haben, weiß ich nicht, aber sie bilden die deutlichsten Erinnerungen.
     
    Die Frau mit den T-Shirts schenkt mir im Vorbeigehen eins mit Micky Maus. »Sei froh, dass du noch ein Kind bist«, sagt sie. Und das klingt, als gäbe es etwas, das man besser nicht wissen sollte. Als solle man froh sein, von nichts eine Ahnung zu haben oder nicht Auto fahren zu können. Und da will man sich auch gleich entschuldigen für etwas,

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