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Das Patent

Titel: Das Patent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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klassisches, an das einundzwanzigste Jahrhundert angepasstes Spiegelkabinett. Sarah fragte sich erneut, warum John Doe sich zur Übergabe ausgerechnet hier mit ihr treffen wollte.
    Als sie weiterging, erblickte sie ein Abbild ihrer selbst, das auf sie zukam: Vor ihr machte der Gang eindeutig einen jähen Knick, also musste es ein Spiegel sein, der ihr den Weg verstellte. Sie trat näher heran und musterte ihr Spiegelbild: eine Frau mit einem Funkgerät in der Hand, die Lippen aufeinander gepresst. Sie hob einen Arm. Ihre Doppelgängerin tat das Gleiche. Sarah drückte die Finger auf das harte, kalte Glas.
    Ihr Spiegelbild war kaum merklich verschwommen. Die Spiegel im Kabinett waren absichtlich unscharf, damit sie den Hologrammen ähnlicher waren und die Täuschung noch perfekter machten. Sarah ließ die Hand sinken, bog ab und ging durch den nächsten Korridor. Wieder spürte sie, dass ihr Abbild ihr zu beiden Seiten folgte. Das Funkgerät in ihrer Hand quäkte leise, dann war es still.
    Der Gang mündete abrupt in einen kleinen sechseckigen Raum. Um sie herum erwiderten andere Sarah Boatwrights ihren Blick. Sarah überlegte, versuchte im Geiste den Bauplan des Saals zu rekonstruieren. Ihr fiel ein, dass drei der sechs Wände aus Spiegeln bestanden. Eine Seite war der Gang, durch den sie gerade gekommen war; die beiden anderen waren Hologramme, die weitere Gänge verbargen.
    Sie schaute sich ihre Abbilder genauer an. Alle hielten ein Funkgerät in der Hand, die Arme baumelten an ihrem braunen Anzug herab. Sarah hob die Arme. Drei Abbilder taten es ebenso. Also mussten die beiden anderen Hologramme sein.
    Sarah konnte durch sie hindurchgehen und in einen der beiden Gänge eintreten. Doch in welchen? Sarah überlegte, ob sie bleiben und warten solle, bis John Doe den nächsten Schritt machte. Vielleicht war er hier, im nächsten Gang. Vielleicht war all dies aber auch nur ein Trick, und er und seine Kumpane waren schon Kilometer entfernt und jagten über den Highway 95. Was auch der Fall sein mochte, es war einfacher, in Bewegung zu bleiben, als hier herumzustehen, zu lauschen und zu warten.
    Sarah machte einen Schritt auf eines der beiden Hologramme ihres Ichs zu. Es erwiderte ihren Blick und hob abrupt einen Arm. Bei der Bewegung blieb Sarah instinktiv stehen.
    Jetzt verstand sie: Eine Kamera war hinter dem Spiegel am Ende des vorherigen Gangs verborgen. Sie hatte sie beim Berühren des Spiegelglases aufgezeichnet.
    Sarah trat behutsam durch das Hologramm. Als sie es durchquerte, verzerrte es sich. Dahinter begann ein weiterer von Spiegeln gesäumter Gang. Sarah verharrte, wartete auf ein Geräusch, auf das Anzeichen einer Bewegung. Doch nichts geschah. Einige Sekunden später setzte sie ihren Weg fort.
    Sie war nun tiefer im Labyrinth, und die Wahrscheinlichkeit wurde größer, dass die Wände rechts und links nicht mehr aus Glas waren. Einige mussten Hologramme sein, Neuschöpfungen ihrer Gestalt, die zuvor an irgendwelchen Spiegeln vorbeigekommen war. Langsam wurde ihre Erinnerung an den Bauplan nebelhafter. Auf alle Fälle war es einfacher, allein hier zu sein: Normalerweise fingen die Spiegel das Abbild zwanzigköpfiger Gruppen ein, nicht nur das einzelner Besucher. Dies erschwerte es noch mehr zu erkennen, was ein projiziertes Hologramm, ein Spiegelbild oder ein lebendiger Mensch war. Doch auch jetzt nahm das Gefühl von Desorientierung zu.
    Sarah fiel das an ihrem Hals hängende Nachtsichtgerät ein.
    Sie schaltete die Batterie ein und setzte die Brille auf. Die Ansicht des Gangs veränderte sich schlagartig: Die Hologramme vor ihr wurden matt und geisterhaft. Nun konnte sie Illusionen von Reflexionen unterscheiden. Neue Zuversicht stellte sich ein.
    Der Gang machte einen scharfen Knick und mündete in eine Gabelung. Sarah schaute in die beiden Abzweigungen vor ihr hinein, deren Spiegelwände flimmerten. Sie zögerte, dann wählte sie aus einem Impuls heraus den Gang, der nach links führte. Als sie weitergehen wollte, meldete sich knisternd das Funkgerät.
    »Sarah, hören Sie mich?« Alloccos verstärkte Stimme wirkte in dem stillen Gang unerträglich laut.
    Sarah drehte das Gerät schnell leiser. »Ja.«
    »Was ist los?«
    »Nichts. Hier ist keine Spur von ihm zu sehen. Warum melden Sie sich? Wir sollten lieber...«
    »Hören Sie zu, Sarah. In Callisto hat es einen Unfall gegeben.«
    »Einen Unfall? Was für einen Unfall?«
    »Ich weiß es nicht. Da die Überwachungskameras noch immer nicht funktionieren,

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