Das Prinzip Uli Hoeneß
»Scheißverein« Bayern München herzog. »Wenn ich 20 wär’ und supertalentiert«, heißt es im Text, »und Uli Hoeneß würde bei mir auf der Matte stehen, ich würde meine Tür nicht öffnen, weil’s für mich nicht in Frage kommt, sich bei so Leuten wie den Bayern seinen Charakter zu versauen.« Und weiter: »Ganz egal, wie hart mein Schicksal wär’, ich würde nie zum FC Bayern München gehen. (…) Ist das Leben nicht viel zu schön? Sich selber wegzuschmeißen und zum FC Bayern zu geh’n … «
Das Lied wurde bereits zwei Tage nach der Veröffentlichung in der Bayern-Kabine diskutiert, und Uli Hoeneß reagierte auf die bekannte Weise.»Das ist der Dreck, an dem unsere Gesellschaft mal ersticken wird«, donnerte er und trug sich mit dem Gedanken, die Bayern-Besudler aus Düsseldorf mit einer Klage zu verfolgen. Mangels Aussicht auf Erfolg klagte Hoeneß dann doch nicht, dafür gab Campino Aufklärung über seine Motivation, einen Anti-Bayern-Song zu verfassen. Den Punkmusiker störte erstens, dass der FC Bayern für eine rechte Gesinnung stand. Nicht nur die Vorstände im Verein, sondern auch fast alle Spieler waren in den siebziger Jahren CSU-Mitglieder oder zumindest CSU-Wähler. Und das haben sie auch gezeigt, erinnerte der Sänger: »Als Franz-Josef Strauß gestorben ist, haben die acht Wochen im Trauerflor gespielt – das hätte kein anderer Verein so gebracht.« Zweitens störte er sich an der Geld- und Marketingmaschinerie, die den Münchner Klub zum mächtigsten und reichsten Verein der Liga machte, was drittens auch noch mit Schicki-Micki-Arroganz nach außen vertreten wurde. Als vierten und wichtigsten Punkt aber nannte er den abtörnenden Stil, in dem die Bayern in den Siebzigern ihre großen Erfolge im Europapokal einfuhren: »Unattraktiver Mauerfußball, dann einmal nach vorne und das Ding reinmachen.« Die Ansichten des Sängers können als Paradebeispiel gelten für die weit verbreitete Bayern-Antipathie.
Woran sich die Geister zunächst und vor allem schieden, das war der Stil, in dem die Bayern ihre internationalen Erfolge errangen. Zweifellos hatten sich die Männer um Franz Beckenbauer durch die Europapokalsiege Millionen Fans erworben, aber eben auch mindestens ebenso viele Feinde. Das ganze Land saß erregt vor dem Fernsehschirm, wenn sie sich mit Europas Spitzenteams maßen, aber in durchaus unterschiedlicher Gefühlshaltung. Wenn die einen sich vom Erfolg begeistern ließen, fühlten sich die anderen abgestoßen von der Art und Weise, wie er errungen wurde. Es war ein ästhetisch insuffizienter Stil ohne jede Brillanz, so empfanden es die meisten Fußballfans. Auf eine sichere Abwehr bedacht, befleißigten sie sich eines immer etwas pomadig und destruktiv wirkenden Ballgeschiebes, und ihre Siege bewerkstelligten sie im Vertrauen auf Gerd Müllers Torgefährlichkeit, die Schusskraft eines »Bulle« Roth und die Sprintstärke eines Uli Hoeneß meist mit einigen wenigen Kontern. Sogar das großartige 4:0 gegen Atlético Madrid von 1974 erinnert im Ansatz an diese Methode: Alle Tore, zumal die von Uli Hoeneß, waren klassische Kontertore.
Die Jahre, in denen die Bayern in der Bundesliga Torrekorde aufstellten – mit den seither unerreichten 101 Treffern 1972/73 als Höhepunkt – lagen da bereits hinter ihnen. Da sie parallel zu ihren europäischen Erfolgen 1974 bis 1976 in der Bundesliga nur noch fußballerisches Mittelmaß darstellten und man nie so recht wusste, worin jetzt eigentlich ihre besonderen fußballerischen Qualitäten lagen, machte bald das Schimpfwort von den »Dusel-Bayern« die Runde. Ein Verein, dessen Erfolge als solche wahrgenommen wurden, die eigentlich auf unverdientem Glück beruhten, musste mit Antipathien rechnen; und die wurden umso stärker, je mehr sich die wirbelnden »Fohlen« aus Mönchengladbach zum sympathischen Gegenentwurf entwickelten und, mit dem blond bemähnten und früh nach Madrid übergesiedelten Günter Netzer als Kultfigur, zum Sinnbild eines »linken« Spaßfußballs stilisiert wurden.
Ins Negativimage der Bayern passte dann auch noch ihr arroganter bzw. als arrogant wahrgenommener Auftritt. Ein Franz Beckenbauer wurde außerhalb des Bayern-Lagers nie so richtig geliebt; zwar als Könner anerkannt, polarisierte er die Nation durch seinen immer etwas hochnäsig wirkenden Stil. »Franz, du Drecksau« war in den Stadien von Duisburg, Bochum und Gelsenkirchen ein beliebter Schlachtruf, wenn die Bayern aufliefen, einmal flog bei einem
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