Das Schloss Im Moor
Schreckens wollte der Fischer, wenn noch möglich, Hilfe
bringen. Er trieb den Kahn mit wuchtigen Ruderstößen vorwärts und steuerte auf den Frauenkörper zu,
griff mit festem Griff in die vom Wasser aufgebauschten Kleider und zog den Körper in den Nachen. Jammernd erkannte der
Mann in der Leiche die schöne Eugenie vom Schloß Ried.
Wie das arme Fräulein nur ins Wasser geraten sein mochte? Ob Hilfe möglich war?
Schnell brachte der Fischer den grausigen Fund an Land und barg den Körper in seinem Häuschen, wo er
Wiederbelebungsversuche anstellte. Unterdessen lief sein Weib zum Arzt Freysleben im Dorfe, der alsbald erschien und nun
seinerseits Wiederbelebungsversuche anstellte. Vergebliche Mühe, das Leben war entflohen, mußte schon vor vielen
Stunden gewichen sein. An Selbstmord vermochte Doktor Freysleben nicht zu glauben, er für seine Person wüßte
wahrlich kein Motiv anzugeben. Freilich kannte der Arzt die näheren Verhältnisse Eugeniens nicht, er wußte
nur wie alle Dorfbewohner, daß die junge Dame wohlgelitten im Schlosse und allgemein beliebt gewesen war. Die
Möglichkeit eines Selbstmordes verneinend, nahm Doktor Freysleben eine genauere Untersuchung der Leiche vor und wollte
es ihm scheinen, als sei ein Druck auf die Luftröhre oder auf die Atmungsorgane bewirkt worden, demzufolge Erstickung
hatte eintreten müssen. Demnach lag Mord vor, die Dame wurde bereits als Leiche in den Kleinsee geworfen.
Doktor Freysleben hielt sich verpflichtet, im telegraphischen Wege Anzeige bei Gericht in Landsberg zu erstatten und die
Leiche einstweilen im Beinhaus des Friedhofes aufbewahren zu lassen. Im Schlosse meldete er das grauenhafte Ereignis
persönlich Herrn Tristner, der soeben den Vertrag mit Wurm unterzeichnet hatte. Theo geriet vor Schreck außer sich
und jammerte herzzerbrechend um Eugenie, die seinem Herzen so nahegestanden. Nicht minder entsetzte sich Olga, beherrschte
sich aber doch so weit, daß sie den Dienern verbot, der Mama auch nur die geringste Mitteilung zu machen.
Inmitten der ihn umbrandenden Aufregung hielt es Herr Wurm für angemessen, ohne besonderen Abschied das Schloß
zu verlassen. Seine Angelegenheit war durch Vertragsabschluß erledigt, den Vertrag hatte er in der Tasche, der
zweifellos hier sehr angenehme Dienst war am nächsten Monatsersten anzutreten, die Kosten der Vorstellungsreise waren
ersetzt, ein Verweilen hätte somit keinen Sinn und müßte angesichts des traurigen Ereignisses seinerseits
geradezu taktlos erscheinen. Am Tode einer ihm unbekannten Repräsentationsdame hatte Wurm keinerlei Interesse,
höchstens könnte man sich wundern darüber, daß sich ein Mörder just ein solch harmloses Opfer
ausersehen habe. Wurm bat im Marstall um ein Fuhrwerk und wurde alsbald zur Bahnstation gefahren.
Ein Telegramm je an Doktor Freysleben und Theo Tristner befahl Aufbewahrung der Leiche und kündigte die Ankunft der
Gerichtskommission für den Nachmittag an.
Alles war im höchsten Maße aufgeregt, weil die Kunde von einer Ermordung nicht geheimgehalten worden war. Seit
Menschengedenken war ein Mord nicht im Moor vorgekommen, es war geradezu undenkbar, daß die harmlose, allgemein
beliebte Gesellschafterin von Schloß Ried das Opfer eines Mörders sein konnte. Schmuck und Geld wird die arme
Eugenie Dobler nicht besessen haben, was konnte also einen Menschen bewogen haben, sie ums Leben zu bringen?
Die Aufregung steigerte sich, als die Gerichtskommission angefahren kam, Doktor Thein, der Amtsrichter von Landsberg, mit
einem Schreiber und zwei Gendarmen. Doktor Thein beauftragte den Rieder Arzt, die Stellvertretung des erkrankten
Gerichtsarztes zu übernehmen und später die Obduktion durchzuführen.
Ein trockener Jurist dem Rufe nach, entwickelte Doktor Thein als Untersuchungsrichter volle Energie und Umsicht.
Zunächst wurde die Augenschau am Kleinsee vorgenommen, die angrenzende Bewohnerschaft in den Gasthof zur
»Post«, wo eine Stube als Kanzlei eingerichtet wurde, befohlen und bezüglich etwaiger Wahrnehmungen
verhört. Niemand wußte aber auch nur das geringste anzugeben. Eugenie wurde auf dem Wege zum Kleinsee nicht
gesehen, man hat sie auch nicht rufen gehört, es war niemand am Ufer. Aber auch von einer Mannesperson, die etwa der
Mörder hätte sein können, wurde nichts wahrgenommen. Der aufgerufene Fischer erzählte dem
Untersuchungsrichter, wie er auf der Heimfahrt den Körper im See gefunden und nach alter Praxis
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