Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
Mund da. Er war völlig versunken in den Anblick, und sein Vater nicht minder. Die Harfe blieb stumm und wurde doch gezupft, lautlos bewegte sich der Webstuhl hin und her, ohne jeglichen Faden ein müßiges Geschäft.
Schließlich schlichen sich der Junge und sein Vater leise davon. Auf dem Heimweg vermieden sie jedes Geräusch, verhielten sich wie die beiden jungen Menschen, die sie eben gesehen hatten. Auch nahm ihn sein Vater nicht länger an die Hand. Declan war jetzt ein Mann, war von diesem Tag an erwachsen. Er war in das Geheimnis eingeweiht, würde fortan Hüter der rätselhaften Erscheinungen sein.
Bei Sonnenuntergang hatten sie die Burg verlassen, inzwischen war der Feuerball hinter der Bergkuppe gänzlich verschwunden. »Nur wir können sie sehen, niemand anders«, erklärte sein Vater. »Weshalb das so ist, wissen wir. Unsere Vorfahren waren bereit, sich für sie zu opfern. Das Phänomen als solches wird für immer und ewig absonderlich und wundersam bleiben, niemand von uns wird es restlos erklären können. Wir wissen nur, dass sie da sind. Jederzeit, wenn uns danach ist, an ihrem Kummer und Leid Anteil zu nehmen, auch an dem Kummer und Leid, das unsere Vorfahren ertragen haben, können wir dorthin gehen und werden Brid und Taddy vorfinden. Irgendwo. Vielleicht nicht in den gleichen Räumen. Auch auf den Feldern habe ich sie gesehen, im Obstgarten, der längst verkommen ist. Und fortan darfst auch du dorthin gehen. Wenn es dich danachverlangt. Aber vergiss nie dein Gelöbnis. Man würde die Toveys für verrückt halten – vielleicht sind wir es auch. Aber es ist ein heiliger Wahnsinn. Und nur der unsrige. Von Bluts wegen. Nie dürfen Brid und Taddy vergessen oder im Stich gelassen werden. Hast du meine Worte vernommen, mein Sohn?«
»Ja, Dad.« Declan ergriff seines Vaters Hand, und sein Vater verweigerte sie ihm nicht.
Ohne dass Declan von dem einen oder anderen Konkreteres erfahren hätte, begann er, die Mosaiksteinchen für sich zusammenzusetzen, Beweisstücke dafür, dass Kitty und Kieran nicht nur von den nötigen Hilfsmitteln wussten, wie die Geister freikommen könnten, sondern auch, wie deren Freilassung zu bewerkstelligen war. Das hatte er sich aus Lollys wirrem Geschimpfe über ihre Romanschreiberei zusammengereimt. Auch wenn Lolly Kittys und Kierans Bemerkungen nicht ernst nahm, waren sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Declan konnte sich durchaus vorstellen, dass die beiden aus einer gewissen Sachkenntnis heraus geredet hatten. Warum sollte unter den Steinplatten in der Großen Halle nicht tatsächlich das nötige Schießpulver verborgen sein? Und warum sollte man es trotz der langen Lagerung dort nicht auch heute noch verwenden können? Allerdings war Kitty McCloud mit allen Wassern gewaschen, wenn es darum ging, eine Fabel zu erfinden und die Verwicklungen der Handlung zu einem befriedigenden Ende zu bringen. Es war durchaus vorstellbar, dass sie – von dem Wunsch beseelt, ihrer Freundin Lolly zu helfen –, die für sie einfachste Lösung herausposaunt hatte, um das arme Weib von ihren Qualen zu erlösen und ihrem dämlichen Roman einen extravaganten Schluss zu bescheren. Hauptsache, das Buch wurde fertig und die arme »Schriftstellerin« saß nicht länger in der Klemme. Trotzdem, wie einfallsreich Kitty auch sein mochte, Declan war geneigt, das, was er gehört hatte, für bare Münze zu nehmen und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Natürlich könnte er Verschiedenes ausprobieren, um das, waser zu wissen glaubte, auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, selbst auf die Gefahr hin, sich dabei selbst in die Luft zu sprengen und Kitty, Kieran und die Kühe gleich mit. Oder sollte er Kitty zur Rede stellen und sie mit seinen Vermutungen konfrontieren? Doch den Gedanken verwarf er. Wenn sie und Kieran tatsächlich wussten, wie man die Burg hochjagen konnte, es aber unterlassen hatten, mussten sie für sich beschlossen haben, es nicht zu tun. Wenn er nämlich Fragen stellte, aus denen auch nur andeutungsweise sein eigener Entschluss zu erkennen war, ein Entschluss, der im Widerspruch zu dem ihrigen stand, könnten sie leicht versuchen, Schritte seinerseits zu unterbinden, die dazu angetan wären, dem tragischen Spuk auf der Burg Kissane ein Ende zu machen. (Weshalb Kitty und Kieran sich so und nicht anders entschlossen hatten, war nicht seine Sache. Für ihn galt das Gelübde, das er abgelegt hatte, und nichts konnte ihn davon abbringen, sich daran zu
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